Lebensbilder II (German Edition)
Zuletzt ging ich in einen Speiseladen und ließ mir ein Weißbrot mit Butter für drei Sous geben. Ein junger Mensch dicht bei mir hatte zwanzig Franken zum Frühstück verzehrt. Er gab einen Napoleon, das Agio war für den Garçon. Auch ich gab einen leichten Napoleon, bekam nach Abzug des Frühstücks zwanzig Franken, zwei Sous heraus, ließ die zwei Sous dem Garçon und hatte mein Frühstück und ein paar Sous obendrein verdient. Ein paar Sous machen nicht arm noch reich, aber der Geldwechsler schlägt sie zu einer runden Summe, und sie müssen das ihrige ihm jährlich eintragen. – Ja, mein Sohn, so lebt und freut sich ein Geldwechsler! –
Punkt 12 Uhr war ich im Vorzimmer der Gräfin.‹
›Die gnädige Frau sind soeben aufgestanden, noch fürchte ich, sind sie nicht zu sprechen.‹
›Ich warte,‹ versetzte ich und pflanzte mich in einen vergoldeten Lehnstuhl.
›Die Kammerjungfer kam endlich zurück und sagte: Treten Sie näher! Der Akzent, womit dies: Treten Sie naher! gesprochen wurde, war mir schon verdächtig. Ich folgte indessen. Das Boudoir der Gräfin erschloß sich mir. Aber Himmel! welch eine schöne Frau sah ich! Ein Kaschmirschal sollte in aller Eile die weißen Schultern verhüllen, aber nur allzugut verriet der feine Stoff die herrlichen Formen. Sie hatte ein schneeweißes Negligé an, ihr rabenschwarzes Haar entfiel einem Turban, der phantastisch den Scheitel umgab. Ihr Bett stellte eine malerische Verwirrung dar. Man glaubte zu sehen, daß sie unruhig geschlafen. Einem Maler muß so etwas Geld wert sein. Unter den lüstern aufgebundenen Vorhängen schimmerte der feine Spitzenüberzug auf dem blauseidenen Eiderdaunenkissen wie Sterne an ihrem Azurhimmel. Auf einem ausgebreiteten Bärenfell, am Fuße der Mahogonibettstelle mit vergoldeten Löwenklauen, lagen zwei niedliche weiße Atlasschuhe in aller Unachtsamkeit und Müdigkeit eines schwelgerischen Festes dahingeworfen. Die Ärmel eines kostbaren und zerdrückten Kleides berührten den Boden: Strümpfe, mit denen ein Zephyr hätte spielen mögen, waren in die Lehne eines Stuhles geschlungen, und darüber flatterten rosenrote Strumpfbänder. Blumen, Handschuhe, Geschmeide und Diamanten lagen hier und dort. Die verschiedenartigsten Wohlgerüche durchdufteten das Zimmer. Ein kostbarer, halbverbogener Fächer schmückte das Kamin. Die Schiebladen der Kommoden standen offen. Alles verriet Unordnung und Reichtum, Blüte und Zerstörung, Schönheit und Genuß. Ich sah die schmachtende Gräfin an. Ich dachte mir all diesen zerstreuten Putz am Abende vorher zu ihrer Zier vereint. Es hätte manchem den Verstand rauben können. Ich gestehe, lange hatte mir kein Weib so gefallen. Ich war bezahlt, ich fühlte mich wieder jung, und das ist mir lieber als tausend Franken.
Sie erhob sich und rückte mir einen Stuhl her, auf den ich mich niederließ. ›Mein Herr,‹ hob sie mit schmelzender Stimme an, die ein schmachtender Blick aus schönen Augen begleitete, ›haben Sie die Güte und warten bis –‹
›Bis morgen mittag, Madame!‹ nahm ich ihr das Wort aus dem Munde und faltete den Wechsel wieder zusammen. – ›Erst nach vierundzwanzig Stunden kann ich protestieren.‹
›Wie, mein Herr!‹ sprach sie mit einem stolzen Unwillen, der mir fast zu Herzen gegangen wäre, ›können Sie die Rücksichten gegen ein Frauenzimmer von meinem Stande aus den Augen setzen?‹
›Frau Gräfin,‹ sagte ich, ›ich achte Sie so hoch wie den König! Bezahlt mein König mich nicht, so hat er in vierundzwanzig Stunden Protest.‹
›Bei mir aber dachte ich: Mach solchen Luxus, erfreu dich deiner Schönheit! Genieße aller Freuden auf deine, aber nicht auf meine Kosten, wenn du willst. Für arme unglückliche, brotlose Menschen gibt es Gerichte, Richter und Strafen. Für dich, die in seidenen Betten schläft, mit indischen Vogelnestern sich nährt, Arabiens Wohlgerüche verschwendet, gibt es Gewissensbisse, Verzweiflung, Zähneknirschen und Reue, die mit ehernen Krallen dein Herz zerpressen werden.‹
In diesem Augenblick ließ sich ein leises Klopfen an der Tür vernehmen.
›Ich kann niemanden empfangen,‹ rief die Gräfin gebieterisch.
›Liebste! ich muß dich sprechen,‹ antwortete eine Stimme draußen.
›Nur jetzt nicht,‹ fuhr jene sanfter fort.
›Du scherzest wohl, es ist ja jemand drinnen bei dir!‹
Die Tür öffnete sich, und der Eintretende konnte niemand anders sein als der Graf.
Die Gräfin sah mich an. Der Blick sagte so viel als:
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