Lebensbilder II (German Edition)
der Straße her in den leeren Saal hinein, und die Scheiben klirrten. Die Vicomtesse sah sich um, gewahrte nur noch zwei Gäste vor einem Spieltische und nahte sich dem Kamin, wo ihre Tochter stand.
»Camilla,« sprach sie möglichst leise, »ich sage es dir noch einmal, wenn sich dein Benehmen gegen den jungen Grafen von Restaud nicht ändert, so nehme ich seine Besuche ferner nicht an. –«
»Soll ich mich unartig einem Manne erzeigen, der mit so ausgezeichneter Artigkeit mich behandelt?« fragte das schöne Kind.
»Liebe!« antwortete die Mutter, »du bist meine einzige Tochter, reich und eines reichen Gatten würdig, du kennst die Welt nicht. In deinen Jahren hat man noch keine Erfahrung. – Hör' nur dies eine: Ernst ist ohne Vermögen, doch besäße er Millionen, seine Mutter brächte ihn darum. Er liebt und unterstützt sie mit einer kindlichen Zärtlichkeit, die musterhaft ist, er sorgt auf bewunderungswürdige Weise für seine Geschwister, aber solange seine Mutter lebt, wird jede edelgesinnte Frau Anstand nehmen, dem Grafen Restaud das Schicksal eines geliebten Kindes anzuvertrauen.«
»Gnädigste!« unterbrach sie hier einer der Spielenden, »darf ich den Vermittler zwischen Ihnen und Ihrer schönen Tochter abgeben? – Ich habe gewonnen, mein lieber Vicomte,« wandte er sich zu seinem Gegner, «ich eile jetzt Ihrer liebenswürdigen Nichte zu Hilfe.«
»Das nenne ich ein feines Gehör.« sagte die Vicomtesse, »wie war es Ihnen möglich, in der Entfernung zu vernehmen, was ich meiner Camilla beinahe ins Ohr flüsterte?«
»Ich höre mit den Augen,« versetzte jener schlau und nahte sich dem Kamin. – Er ließ sich in einen Lehnstuhl nahe demselben nieder. Die Marquise setzte sich auf ein Sofa, und der alte Oheim nahm neben seiner Schwägerin Platz. Camilla aber blieb in der zierlichen Stellung, leicht an die Marmorplatte des Kamins gelehnt, vor ihnen stehen.
»Meine Freunde,« hub der Gast an, »ich muß Ihnen eine Geschichte erzählen, welche zweierlei Verdienste hat; erstlich wird sie dieser artigen jungen Dame hier eine tüchtige Lehre geben, sodann aber auch die edeldenkende gnädige Frau hier bewegen, sich eine etwas bessere Vorstellung von dem Vermögen des jungen Grafen Ernst zu machen.«
»Ich höre gern Geschichten erzählen.« sprach Camilla, »und nehme gute Lehren mit Dank an, haben Sie es aber darauf abgesehen, mich durch irgend etwas, was Sie mit Ihren hörenden Augen bemerkt haben wollen, in Verlegenheit zu setzen, so sind wir die längste Zeit gute Freunde gewesen.«
»Die besten Freunde werden wir heut noch.« rief jener lächelnd, »und alle junge Damen in Ihrer Lage werden Sie um den Freund beneiden, der solche Geschichten erzählt. Ach! werden sie seufzen, käme doch auch zu mir jemand und erzählte mir und meiner Mutter solch eine allerliebste, herrliche, scharmante Gesichichte! Merken Sie nur auf.«
Camilla errötete.
»Ja, ja! mein Fräulein, so hört man mit den Augen.«
Der also sprach, war ein Mann von etwa vierzig Jahren. Ein berühmter, allgemein geachteter Rechtsgelehrter, Hausfreund und Kurator der Vicomtesse, der er durch seine Kenntnisse und Geschicklichkeit bereits wichtige Dienste geleistet hatte.
»Ich selbst,« hub er an, »spiele eine Hauptrolle in der kurzweiligen Erzählung, welche ich Ihnen vorzutragen gedenke, deshalb werden Sie mir hoffentlich erlauben, daß ich ganz meiner Laune folge und, wohlgefällig bei der Erinnerung des Selbsterlebten verweilend, ein wenig ins Breite gehe. Damit Sie jedoch sogleich erfahren, woran Sie sind, sage ich ihnen in aller Kürze, der Held meiner Geschichte ist ein Wucherer.
Sie, schöne Camilla, können unmöglich von einem solchen Geschöpf schon einen Begriff haben, und ich muß es Ihnen daher beschreiben. Denken Sie sich einen Menschen, dürr wie der Mond im ersten Viertel. Seine Gesichtsfarbe wie Silber, dessen Vergoldung abgenutzt, mit sorgfältig glattgekämmten und aschgrauen Haaren, ausdruckslosen Zügen; mit Augen, gelblich wie ein Kater und fast ohne Wimpern, mit spitzer Nase und eingekniffenen Lippen. – Ein grüner Augenschirm schmückt seine Stirn, sein Anzug ist schwarz und seine Jahre ein Rätsel. Es läßt sich ebenso wenig bestimmen, ob die karge Lebensart ihn vor der Zelt alt machte, oder ob er seine Lebenszeit geschont, um sie länger benutzen zu können. – Sein Zimmer ist sauber, wie der Frack eines Engländers, aber alles in demselben, vom Bettvorhang bis zur grünen Decke des
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