Lebensbilder II (German Edition)
der mir Tisch und Wohnung anbot. Ich verließ also das Haus meines Wucherers, der weder erfreut noch betrübt darüber schien. Acht Tage darauf besuchte er mich in meiner neuen Wohnung und setzte seine Konsultationen mit einer Dreistigkeit fort, als ob er sie mit schwerem Gelde mir bezahle. Nach Verlauf von zwei Jahren fing mein Prinzipal an zu kränkeln und trug mir seine sämtliche Praxis für die Summe von 70000 Franken an, wenn ich imstande sei, sie bar zu schaffen. Ein wahrer Spottpreis, denn in zwei Jahren ließ sich das Geld gewinnen. Ich selbst hatte freilich keinen Heller und kannte niemand, der mir eine solche Summe vorschießen würde, außer etwa Trockenschling. – Ich ging zu ihm.
Er empfing mich mit den Worten: ›Nun, mein Sohn, dein Prinzipal verkauft seine Praxis?‹
›Woher wißt Ihr's, denn ich bin der einzige, dem er sie angetragen?‹
›Ich weiß alles – um 70000 Franken – wo ist diese Summe?‹
›Vater Trockenschling,‹ hub ich an, ›ich will meine Worte nicht verlieren, um Euch meine gegenwärtige Lage zu schildern, ich bin arm, eine Waise, ohne Bekannte, und kann jetzt ein großes Glück machen. – Ihr könnt mir helfen; und da habt Ihr alles. Bei Geschäften geht es nicht wie in Romanen zu, daß man durch Sentimentalität Leute gewinnt. – Ihr wißt aber, daß die Praxis meines Prinzipals jährlich 30000 Franken einträgt und unter meinen Händen vielleicht 50000. Wollt Ihr mir also 70000 Franken auf zwei Jahre leihen, so ist mein Glück gemacht.‹
›Mein Sohn,‹ hub Trockenschling an, ›du hast wie ein Geschäftsmann gesprochen.‹ – Er reichte mir seine Hand. – ›So alt ich bei meinem Handel geworden, fand ich noch keinen, der mit so kurzen Worten mich um eine so große Summe ansprach. – Ja, mein Sohn, dies Zimmer, kahl und ärmlich, ist der Tempel des Erdenglücks. Der ärgste Raufbold, den ein Wort erzürnt, der um einen scheelen Blick den Degen zieht, hier steht er mit gerungenen Händen; hier wird der Stolze demütig; hier suchen Könige Gnade; hier wird ein Welteroberer zahm wie ein Schäfchen; der größte Held, der gekrönte Dichter, der berühmteste Gelehrte, und jeder, der seines Nachruhms sicher ist, hier steht er wie ein sterblicher Mensch, denn Geld braucht jeglicher. – Nun. mein Sohn, ich soll dein Glück hier machen! sprich, – wie alt bist du?«
»Siebenundzwanzig Jahre!«
»Deinen Taufschein! mein Sohn.«
Ich reichte ihm denselben aus meiner Brieftasche. Er las ihn von Anfang bis zu Ende, prüfte jeden Buchstaben, jeden Stempel, jedes Siegel und zuletzt auch das Papier. Endlich sagte er: ›Wir wollen das Handelchen machen.‹
Ein Stein fiel mir vom Herzen.
»25% zieh' ich jährlich von meinen Kapitalien.«
Ich erblaßte.
»Aus alter Freundschaft will ich von dir nur 24½ % nehmen.«
»Seid Ihr von Sinnen?«
Er schmunzelte. »Uberleg' dir's, mein Sohn! Leiht dir ein anderer Geld? Ich glaube, du hast nur den einzigen Freund, – du gefällst mir. Leute, die sogleich auf alles eingehen, mag ich nicht.«
»Wie ist es möglich, daß ich diese ungeheueren Zinsen in einem Jahre aufbringe?«
»Du sollst sie nicht bezahlen, mein Sohn, sondern deine Klienten.«
»Nein, bei allen Teufeln!« rief ich. »lieber hau' ich mir die Hand ab, als daß ich Leute betrüge.«
›Wie du willst, mein Sohn,‹ sprach er mit süßlicher Stimme.
›Adieu!‹
›Höre, mein Sohn! sei nicht so hitzig. Ich werde dich als den besten Rechtsgelehrten allen meinen Kollegen empfehlen. Du sollst so viel zu tun bekommen, daß alle anderen Advokaten vor Neid platzen. Warbrust, Palma, Gigonnet, meine Kollegen, sollen dir alle ihre Pfändungen übergeben, du sollst die doppelte Praxis für diesen halben Preis erlangen.‹
›Das ließe sich hören.‹
›Aber zu meiner Sicherheit muß ich selbst deinem Prinzipal seine Praxis abkaufen.‹
›Ich gebe jede Sicherheit.‹
›Du gibst mir die 70000 Franken in siebzig Wechseln auf 1000 Franken in blanco akzeptiert.‹
›Wenn nur die hohen Interessen anerkannt werden.‹
›Das ist eine Sache für sich, gilt der andern Praxis, die ich in deine Hände spiele.‹
›Meinethalben.‹
›Meine Prozesse führst du gratis!‹
›Bis auf die Auslagen, die dabei zu machen sind.‹
›Freilich! Und wann kann ich dich besuchen?‹
›Wann Ihr wollt.‹
›Des Morgens hat es seine Schwierigkeiten, wir haben beide unsere Geschäfte.‹
›Des Abends also.‹
›Des Abends mußt du deinen Klienten die Aufwartung machen,
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