Lebensbilder II (German Edition)
– Sei du mir treu und verschweige, was ich dir jetzt anvertraue, so daß selbst deine Mutter nichts davon weiß. – Versprichst du mir das?‹
›Gewiß, mein Vater.‹
›So höre, mein liebes Kind! Ich will dir ein Paket geben, das meinem Advokaten zukommen muß. Verbirg es vor jedermann. Suche, unbemerkt aus dem Hause zu kommen, und wirf es in die erste, beste Briefschachtel auf der Straße. Willst du das tun?‹
›Ja, lieber Vater!‹
›Kann ich mich darauf verlassen?‹
›Sicherlich!‹
›Küsse mich mein Kind! – Du erleichterst mir die Sterbestunde, und wenn du einst zu Jahren gekommen, dann wirst du die Wichtigkeit dieses Geheimnisses einsehen: dann wirst du reichlich für deine Treue und Geschicklichkeit belohnt sein: dann wirst du wissen, wie sehr ich dich liebte. Jetzt geh, mein süßer Knabe, laß mich allein und sorge dafür, daß niemand mich überrascht.‹
Ernst ging. An der Tür stand seine Mutter. Das Schluchzen des Kindes hatte sie herbeigelockt, sie hatte das Ohr ans Schlüsselloch gelegt, und kein Wort des Grafen war ihr entgangen.
›Ernst!‹ sprach sie, ›komm einmal her!‹ Sie fühlte, daß dieser Augenblick der entscheidende sei, und, sich vergessend, schloß sie ihren Sohn in die Arme, benetzte ihn mit ihren Tränen und rief laut: ›Kind! was habe ich dir getan, daß du mich unglücklich machen willst?‹
›Ich, liebe Mutter?‹
›Wenn du tust, was dein Vater dir geheißen, so wirst du freilich ein reicher Mann, aber ich und deine Geschwister werden betteln müssen. Lieber Ernst! ich habe dich von jeher geliebt, habe dich gepflegt und für dich gesorgt. – Willst du das in meinem Alter aus mir machen?‹
›Liebe Mutter! Ich will dir nichts zuleide tun.‹
›Ach, liebes Kind! Böse Menschen haben mich bei deinem Vater angeschwärzt. Er ist kränklich, mürrisch, argwöhnisch, er haßt mich und deine Geschwister. Er will uns arm, unglücklich machen, und weil er krank ist, kann ich nicht mit ihm reden und es hindern. Mein teurer Sohn, wenn du dem Vater gehorchst, bin ich und deine Geschwister ewig unglücklich.‹ Mit einem heftigen Schrei unterbrach sie die unvorsichtigen, lautgeführten Klagen. Sie hatte nicht bedacht, daß der Graf in seinem Zimmer ebensogut hören könne, was in dem ihrigen gesprochen würde, wie sie, was in jenem vorging.
Plötzlich stand er vor ihr, bleich, schmal, entstellt wie ein Gespenst. – ›Oh, du Schändliche!‹ sprach er mit hohler Stimme, ›das tust du einem Sterbenden?‹
›Um Gotteswillen, lieber Mann! wenn du mich je geliebt, enterbe die Kinder nicht. Zürne auf mich, mich laß hungern und betteln, aber die kleinen, unschuldigen, zarten Geschöpfe, was können sie für die Laster ihrer Mutter? – Ja, ich gestehe, ich habe dich beleidigt, doch was ich auch verbrochen, laß nur den Kindern die Rache nicht fühlen. Dir tut auch bald Gnade not, du stehst mit einem Fuße im Grabe, vergib – nicht mir – nur den lieben, unschuldigen Kindern.‹
Sie wollte seine Knie umfassen. Mit einem Schauder wandte sich der Graf von ihr. – ›Rühr' mich nicht an! Du machst mich starr und eiskalt, du tötest mich!‹ – Tot sank er zu Boden. Die unglückliche Gräfin stürzte ohnmächtig auf ihres Gatten Leichnam nieder.
Ernst fing an zu schreien. Alle Diener eilten hinzu, der Graf ward in's Bette getragen. Die Gräfin erholte sich; kaum hatte sie ihre Besinnung wieder erhalten, als sie Ernst nebst allen Dienern befahl, sie allein zu lassen. Das verständige Kind jedoch war kaum aus dem Zimmer, als es spornstreichs zu mir eilte und mit allem Entsetzen und kindischem Schmerze, welchen sein junges Herz über einen solchen Auftritt empfinden mußte, das Vorgefallene mir erzählte. – Ich eilte mit ihm zurück. Die Tür war verschlossen, ich sprengte sie, und welch ein Anblick eröffnete sich mir!
Es war kaum eine halbe Stunde seit dem Tode des Grafen verstrichen, und schon hatte die Gräfin alle Schatullen, Schränke, Kommoden, Schreibtische erbrochen, um nach dem Testamente zu suchen, von welchem Trockenschling ihr gesagt hatte. Der Boden war mit Papieren, Briefen, Büchern und Schriften bedeckt. Sie selber stand in dem unordentlichen Zimmer wie eine Furie mit fliegenden Haaren, die Gewänder in Unordnung; und neben ihr lag der Leichnam mit gräßlich entstellten Zügen, die die letzten fürchterlichen Gemütsbewegungen verrieten, die ihm den Tod zugezogen. Das irre Auge der Gräfin starrte nach dem Kamin. Meine Blicke folgten den
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