Lebensbilder II (German Edition)
Schoße dieser finstern Einsamkeit lebe. Die täglichen Feste in den Pariser Salons und der Strudel von Vergnügungen aller Art hatten ihn der friedlichen Stille, die in den Provinzen herrscht, gänzlich entfremdet.
In der Tat war es einer der seltsamsten Kontraste, die sich jemals im Leben ereignen können. Er kam aus einer Assemblee bei Cambacérès, wo die reichste Fülle des Genusses sich entfaltet, wo die Anwesenden einen so weiten Wirkungskreis beherrschten, wo die Gunst eines Kaisers in vollem Glanze strahlte, und sah sich plötzlich in einem prunklosen Gemach, eng wie die Gedanken und die Wünsche der Bewohner. Wenn jemand plötzlich von Italien nach Grönland hingezaubert würde, so dächte er vielleicht wie unser junger Advokat, der bei sich selbst sprach: »So zu leben, heißt nicht leben.«
Der Graf merkte, was im Herzen seines Sohnes vorging, faßte ihn bei der Hand, zog ihn in ein Fenster, wo es noch ein wenig hell war, und während die Magd die alten Wachslichter auf den Armleuchtern anzündete, redete er ihm folgendermaßen zu:
»Hör', mein Sohn! die Witwe Bontemps ist über alle Maßen fromm. Wenn der Teufel alt wird – du kennst das Sprichwort. Dir behagt es hier nicht, weil du an die Pariser Luft gewöhnt bist. Je nun, die Sache ist die: Die Alte ist von Pfaffen umlagert, sie haben sie überzeugt, daß man in jedem Alter noch selig werden kann. Übrigens, um sich St. Peters und seiner Schlüssel noch besser zu versichern, läßt sie was drauf gehen. Sie besucht die Messen täglich, hört jedesmal das Amt, nimmt alle Sonntage, die Gott werden läßt, das Abendmahl und bessert die baufälligen Kapellen aus. Die Kathedrale verdankt ihr so viele Zieraten, Chorhemden und Kleider, sie hat den Baldachin mit so vielen Federn geschmückt, daß es bei der letzten Prozession eine Pracht war, die alle Beschreibung übertrifft. Die Priester waren herrlich angezogen und alle Kreuze neu vergoldet. Hier das Haus ist eine wahre Heiligenstätte. Wenn ich nicht wäre, hätte die alte Närrin sogar diese drei Bilder fortgegeben, dies ist ein Domenichino, jenes ein Raphael und dies da ein Andrea del Sarto und sind viel Geld wert.«
»Aber Angelika?« fragte der Jüngling bewegt.
»Ist verloren! wenn du sie nicht heiratest,« versetzte der Graf. »Unsere guten Apostel haben ihr den Rat gegeben, eine Jungfrau zu bleiben und Heilige zu werden; was habe ich für Mühe gehabt, die Liebe zu dir in ihrem Herzchen wieder zu erwecken, als sie nämlich die einzige Tochter war. Du wirst leicht einsehen, wenn sie verheiratet ist, wird sie dir nach Paris folgen, wo Moden, Feste, Edelsteine, Schauspiele und die Heirat auch sie von der Beichte, Fasten, Vespern und Messen auf andere Gedanken bringen werden, denn das ist so das Leben der Weiber hier.«
»Aber ihre 20 000 Franken Einkünfte?«
»Da liegt der Hund begraben!« rief der Graf mit schlauen Blicken. »In Berücksichtigung dieser Heirat, denn die Eitelkeit der Bontemps fühlt sich nicht wenig geschmeichelt, in den Stammbaum der Grandville aufgenommen zu werden, gibt besagte Mutter alle ihre Güter der Tochter zu eigen und behält nur den usus fructus davon. Die Pfaffen freilich widersetzen sich deiner Heirat, aber ich habe euch schon aufbieten lassen, und alles ist vorbereitet. Binnen acht Tagen bist du außer dem Bereiche der Mutter und der Pfaffen und im Besitz des schönsten Mädchens von Bayeux. Die kleine Frau wird dir sicher im Leben kein Ärgernis geben, denn sie hat Grundsätze! Sie ist vom vielen Beten und Fasten und mehr noch durch die Behandlung ihrer Mutter, einer Frommen im großen Stil, jetzt beinahe ganz aufgerieben. Du wirst sie bleich und mager und ihre Augen hohl finden, aber – du verstehst mich doch, das wird sich geben!«
Ein bescheidenes Pochen hemmte den Fluß der Rede des Grafen. Er glaubte schon, daß die Damen angekommen waren; die Tür des Gemaches öffnete sich, aber nur ein kleiner Lakai trat mit geschäftiger Gebärde ein. Beim Anblick der Fremden blieb er schüchtern am Eingänge stehen und winkte der Magd, die sich ihm näherte.
Er trug eine blaue Jacke mit sehr kleinen Schößen, die kaum bis zu seinen Hüften reichten, und blau- und weißgestreifte Beinkleider. Seine Haare waren rund geschnitten, und seine Gestalt hatte Ähnlichkeit mit der eines Chorknaben, denn sie drückte eine gewisse erzwungene Zerknirschung aus, welche die Bewohner eines devoten Hauses sich in der Regel aneignen.
»Mademoiselle,« fragte er, »wissen Sie,
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