Lebensbilder II (German Edition)
auch die Aufmerksamkeit der Betenden an. Sie wandte sich, und obschon sie den Gespielen in der Dunkelheit nicht recht erkennen konnte, färbte eine zarte Röte ihre Wangen, der junge Advokat deutete dies zu seinem Vorteil und war nicht wenig erfreut darüber. Der Vater triumphierte, Angelika aber senkte den Schleier und betete eifrig und inbrünstig weiter.
Das Amt war endlich zu Ende, wie der junge Grandville es lange gewünscht. Als die Damen sich erhoben, zügelte er seine Sehnsucht nicht länger und eilte, seine ehemalige Gespielin zu begrüßen.
Die Wiedererkennungsszene war von beiden Seiten mehr schüchtern als herzlich, denn sie fand unter dem gotischen Portal der Kathedrale und in Gegenwart rechtgläubiger Seelen statt. Madame Bontemps war aber hoch erfreut und nahm eine sehr stolze Miene an, als Herr von Grandville den Arm ihr bot, dieser indessen war mit der zärtlichen Ungebühr seines Sohnes wenig zufrieden, die ihn in Gegenwart aller Leute zu dieser Artigkeit genötigt hatte.
Erst vierzehn Tage nach diesem Auftritte sollte, nach Angelikas Wunsche, die Vermählung stattfinden. Grandville besuchte seine schöne Geliebte täglich in ihrer finstern Klause und gewöhnte sich an die Einförmigkeit. Die häufigen Besuche sollten ihm dazu dienen, Angelikas Charakter kennen zu lernen, denn glücklicherweise vermochte die Leidenschaft nicht das Urteil in ihm zu ersticken.
Gewöhnlich überraschte er sie, vor einem hölzernen Bilde der heiligen Lucia sitzend und beschäftigt, das Leinenzeug zu ihrer Aussteuer selbst zu zeichnen. Niemals brachte sie das Gespräch auf Religion; wenn es dem jungen Rechtsgelehrten einfiel, mit ihrem kostbaren Rosenkranz zu spielen, welcher in einem Beutel von grünem Samt aufbewahrt wurde, und er mit einer allzuweltlichen Miene die Reliquien zählte, womit diese Werkzeuge der Andacht gewöhnlich verziert sind, nahm ihm Angelika mit einem flehenden Blicke das Spielzeug aus den Händen und schob es, ohne ein Wort zu sagen, in das Behältnis zurück.
Wenn Grandville in einer boshaften Laune es wagte, wider einige Religionsgebräuche zu reden, antwortete sie ihm mit einem wohlwollenden Lächeln:
»Man muß entweder nichts glauben oder alles, was die Kirche lehrt. – Wollten Sie, daß Ihre Frau keine Religion hätte? Gewiß nicht! Nun, wie darf ich antasten, was die Kirche befiehlt? Welch ein Mensch kann sich zum Schiedsrichter aufwerfen zwischen dem Unreligiösen und Gott, den die Kirche vorstellt?«
Ihre liebliche Stimme gewann bei solchen Reden eine so salbungsvolle Anmut und ihr Auge einen so seligen Ausdruck, daß der Jüngling in Versuchung geriet zu glauben, was sie glaubte. Angelika fühlte sich glücklich, aus Pflichtgefühl, sich ihrer ersten Zuneigung überlassen zu dürfen. Ihr Anbeter war zu leidenschaftlich, um wahrnehmen zu können, daß, wenn die Religion diese Gefühle der Geliebten nicht erlaubt hätte, sie ebenso leicht wie eine Blume im Froste erstorben wären.
Der Tag brach an, an welchem der verhängnisvolle Kontrakt unterzeichnet werden sollte. Madame Bontemps vermochte ihren Schwiegersohn, daß er heilig beschwor: den Religionsübungen seiner Gattin nichts in den Weg zu legen, ihr gänzliche Gedankenfreiheit zu gestatten, sie, so oft sie es wollte, zur Kirche, Beichte oder zum Abendmahl gehen zu lassen und endlich ihr in der Wahl ihres Beichtvaters völlige Freiheit zuzugestehen.
In diesem feierlichen Augenblicke stand Angelika mit so reinen, verklärten Zügen vor ihrem Bräutigam, daß er den Schwur, der ihn ewig mit ihr verband, ohne Bedenken und mit freudigem Herzen ablegte. Der bleiche Beichtvater des Hauses konnte aber das hoffnungsreiche Lächeln auf seinen Lippen bei diesem Auftritte nicht ganz unterdrücken. Angelika neigte ihr Haupt zu ihrem Gatten, als wolle sie ihm versichern, sein Versprechen nie zumißbrauchen. und der alte Graf brummte seine Arie aus der Oper »Rosa und Cola«.
Nach den Feierlichkeiten der Vermählung reiste Grandville mit seiner jungen Gattin unverzüglich nach Paris ab, wohin er, durch seine Ernennung zum Substitut des Generalprokurators am kaiserlichen Hofe, berufen war.
Das junge Ehepaar sah sich nach einer Wohnung um. Angelika benutzte das Übergewicht, welches sie über ihren Gatten hatte, und bewog ihn, ein großes Quartier in einem Hotel an der Ecke der Veille Rue du Temple und der Rue Neuve St.François zu mieten, denn wenig Schritte weit, in der Rue d'Orleans, war eine Kirche, dicht dabei eine kleine
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