Lebensbilder II (German Edition)
wo die Gebetbücher zum Amte der heiligen Jungfrau sind? Die Damen von der Kongregation werden eine Prozession in der Kirche halten.«
Die junge Magd holte die Bücher.
»Wird's noch lange dauern. Kleiner?« fragte der Graf den Harrenden.
»Höchstens eine halbe Stunde, gnädigster Herr!«
»Laß uns hingehen, es gibt schöne Frauen darunter,« versetzte der Graf, »auch kann es uns nichts schaden, wenn wir dort gesehen werden.«
Unentschlossen folgte der Jüngling seinem Vater.
»Was fehlt dir?« fragte der Graf.
»Mir, lieber Vater, mir? – Ich habe doch recht!«
»Du hast noch nichts gesagt!«
»Ich dachte mir: Sie, lieber Vater, haben 20000 Franken Einkünfte, und ich wünsche, sie so spät als möglich zu erben. – Wenn Sie mir aber 200 000 Franken zu einer unklugen Heirat geben wollen, so werden Sie erlauben, daß ich mir lieber 100 000 ausbitte, um einem Unglück, wie dieses sein würde, auszuweichen.«
»Bist du von Sinnen?«
»Nein! mein Vater. Der Grund ist der: Der Justizminister hat mir gestern einen Posten mit 10 000 Franken jährlich versprochen. Ihre 100 000 Franken mit dem, was ich besitze, machen ein Einkommen von 20 000 Franken, und ich habe in Paris Aussichten, welche tausendfach diejenigen aufwiegen, die eine Verbindung, so arm an Glück, wie reich an Gütern, mir gewähren kann!«
»Da sieht man's,« lächelte der Vater, »daß du nicht im ancien regime gelebt hast, sonst würdest du wissen, daß eine Gattin niemals ein Hindernis ist.«
»Aber, lieber Vater, heutzutage ist die Ehe – «
»Wirklich?« unterbrach ihn der Graf, »so ist denn alles wahr, was meine alten Emigrationsgefährten mir sagen, die Revolution hat alle lustigen Sitten vertilgt, hat die jungen Leute mit zweideutigen Grundsätzen angesteckt. – Du sprichst ja wie ein Bruder Jakobiner von der Nation, von der Sittenreinheit, von Uneigennützigkeit und was weiß ich's – o Gott! was würde ohne den Kaiser und seine Schwester aus uns werden.«
Als der alte Herr diese Worte vollendet, standen sie vor der Kirchtüre. Beide traten lächelnd ein, und der muntere Greis sogar, als er sich mit Weihwasser bekreuzigte, brummte eine Arie aus der Oper »Rosa und Cola«. Er führte seinen Sohn längs dem Seitengang und stand bei jedem Pfeiler still, um die Köpfe zu betrachten, die wie Soldaten in Reihe und Glied über die Kirchensitze hervorragten.
Das Amt begann. Die Damen, welche die Kongregation bildeten, saßen dem Chor zunächst. Der Graf und sein Sohn nahten sich dieser Gruppe, und um sie ungestört betrachten zu können, lehnten sie sich an den finstersten Pfeiler, von wo aus ihnen die zierlichen Köpfe wie Blumen auf einer Wiese erschienen.
Mit einem Male hub eine Stimme, sanfter als irgend zu erwarten war, wie die erste Nachtigall nach dem Winter, den Gesang an. Deutlich vernahm man die klangreichen Töne, obschon tausend Weiber mitschrien und die Orgel gleichfalls dazu brummte, die Stimme hallte ebenso süß im Ohre wie im Herzen des Jünglings wider und ergriff sein Innerstes wie der zu reiche und lebhafte Ton des Kristalls.
Er wandte sich und entdeckte ganz in seiner Nähe ein junges Frauenzimmer, aber ihr Gesicht blieb durch eine Wendung ihres Hauptes hinter ihrem weißen Hute verborgen. Er glaubte, Angelika zu erkennen, trotz des braunen Nonnenkleldes von Merino, und stieß seinen Vater mit dem Ellenbogen an. der hinblickte und ihm ins Ohr flüsterte: »Ja. sie sind's!«
Hierauf machte er durch eine Gebärde auch seinen Sohn auf eine alte, blasse Frau aufmerksam. Ihr Auge, von einem starken, dunklen Reif umgeben, hatte den Fremden mit einem falschen Blicke, der vom Gebetbuche, welches sie dicht unter der Nase hielt, sich nicht entfernt zu haben schien, schon bemerkt. Die Wolken des Weihrauches drangen bis zu den Pfeilern, Angelika hob das Haupt zum Altar empor, und beim geheimnisvollen Schein der Altarkerzen erkannte der junge Graf ein Antlitz, das ihn innig rührte.
Es war überaus regelmäßig, ihr Haar ein falbes Blond, die Augenbrauen bildeten zwei zarte Bogen über den klaren, hellblauen Sternen, in welchen die Herzensreinheit nicht zu verkennen war, die Adlernase war ebenso sein wie fest gezeichnet, und die Lippen glichen zweien aufblühenden Rosenknospen. Obschon viel Kaltsinn in ihren Zügen zu lesen war, so deutete Grandville dies lieber auf die strenge Erziehung, als daß er die Gefährtin seiner Jugend der Unempfindlichkeit hätte beschuldigen mögen.
Eine Bewegung des stummen Lauschers zog
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