Lebensbilder II (German Edition)
Alles ist vorbereitet, man wird Dir auf alle Weise entgegenkommen. Leb' wohl!«
P. S. »Unsere guten Freunde wundern sich vielleicht, daß ein Jüngling von so gutem Adel, wie der Deinige, sich mit der Bontemps verbindet, deren Vater eine rote Mütze trug und Nationalgüter zu sehr niedrigen Preisen kaufte. Aber Angelika hat 300000 Franken. Ich gebe Dir 200000 Franken, die Güter Deiner Mutter machen 50000 Thaler, folglich kannst Du, wenn Du zur Magistratur übergehst, ebensogut Senator werden wie jeder andere. Mein Schwager, der Staatsrat, wird Dir deshalb nicht freundlich sein, aber er ist unverheiratet und muß Dich doch einst zum Erben einsetzen. Leb' wohl!«
Mit tausend schönen Aussichten ging der junge Grandville diese Nacht zu Bette. Er vermochte nicht zu schlafen, so müde er auch war. Er sah sich im mächtigen Schütze des Erz-Kanzlers, des Justizministers und seines Oheims (eines der Verfasser des COde Napoleon) und jung, wie er war, einen beneidenswerten Posten am ersten Hofe der Welt bekleiden, vielleicht ein Mitglied des Rates gar, aus welchem der Kaiser die höchsten Staatsämter zu besetzen pflegte. Auch stellte sich seinen Augen ein hinreichendes Vermögen dar, um seinem Range angemessen zu leben, denn die geringen Einkünfte von dem Nachlasse seiner Mutter mußten sich mindestens verzehnfachen.
Mitten unter den glänzenden Träumen der Jugend und des Ehrgeizes erschien aber auch Angelika, die Gespielin seiner Kindheit. Bis zu seinem fünfzehnten Jahre hatten die Eltern nichts wider seine Zuneigung zur schönen Nachbarstochter einzuwenden, später aber, als die Ferien ihm erlaubten, seine Eltern in Bayeux zu besuchen, und diese die wachsende Liebe zu dem schönen Mädchen wahrnahmen, verboten sie ihm, stolz auf ihren guten Adel, ferner an sie zu denken.
Seit zehn Jahren hatte Grandville also diejenige, die er ehemals seine kleine Gemahlin zu nennen pflegte, nur auf Augenblicke gesehen. In solchen verstohlenen Augenblicken konnten beide nur wenig miteinander reden. Die Wachsamkeit ihrer Eltern ließ keine andere Gelegenheit zu, sich einander näher zu kommen, als etwa in einer Gesellschaft oder beim Tanze.
Die schönsten Tage ihrer Liebe waren die öffentlichen Tanzfeste, in der Normandie Assembleen genannt, wo sie wenigstens nach Herzenslust einander betrachten konnten. Der junge Grandville erinnerte sich sogar, während seiner letzten Anwesenheit Angelika nur dreimal gesehen und jedesmal sie traurig und niedergeschlagen, wie unter einem fremden Joche seufzend, gefunden zu haben.
Punkt sieben Uhr morgens eilte der junge Advokat mit Sturmschritten nach dem Bureau der Messagerie in der Rue Notre-Dame de Victoire. Glücklicherweise fand er einen Platz im Wagen, welcher nach Caen abging.
Nicht ohne tiefe Rührung sah er nach langer Zeit den Kirchturm der Kathedrale zu Bayeux wieder. Noch hatte keine Hoffnung ihn betrogen, und sein Herz öffnete sich willig allen Eindrücken und Empfindungen, welche die Jugend so gerne hegt.
Nach der herzlichsten Bewillkommnung von seiten des Vaters und einiger Freunde ward der Jüngling zu einem gewissen ihm sehr wohlbekannten Hause in der Rue Tenture geleitet. Sein Herz pochte lauter fast als der Vater (den man in der Gegend nur den Grafen von Grandville nannte) an der sehr niedrigen Haustür.
Es war gegen vier Uhr abends. Eine junge Magd, mit einer Kattunkappe nach der Sitte des Landes geschmückt, grüßte die Ankommenden herzlich und dreist und versicherte, daß die Damen bald aus der Vesper heimkehren würden.
Das Zimmer, in welches die Gaste geführt wurden, war mit poliertem Holze ausgetäfelt, und an den Wänden ringsum standen gepolsterte, hohe Lehnstühle. Das Kamin hatte keine weiteren Zierate als einen Spiegel von grünlichem Glase, und von beiden Seiten waren Armleuchter angebracht, deren Fasson aus den Zeiten des Utrechter Friedens herzurühren schien. Dem Spiegel gegenüber befand sich im Tafelwerk der Wand ein ungeheures Kruzifix aus Ebenholz und Elfenbein, mit großer Kunstfertigkeit geschnitzt und mit gebohntem Holze umgeben. Mehrere Kirchenbilder hingen den Fenstern gegenüber. Vermutlich hatte der alte Bontemps sie während der Revolution gekauft, denn als Chef des Distrikts hatte er sich selber nie vergessen. Vom sorgfältig mit Wachs gebohnten Fußboden an bis zu den karierten Fenstergardinen verriet alles eine klösterliche Ordnung.
Eine unwillkürliche Ängstlichkeit befing den Jüngling, indem er bedachte, daß seine Angelika im
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