Lebensbilder II (German Edition)
speisen pflegte, ihre Tochter sei, und war die erste, die einen Geistlichen herbeizurufen für geraten hielt, der ihr ebenso nützlich wie der Kranken werden sollte.
Die drei alten Freundinnen der Witwe Crochard hatten sich alle Mühe gegeben, in der Kranken einige Skrupel über ihr vergangenes Leben, Aussichten auf das Jenseits, Furcht vor den ewigen Strafen und Hoffnung auf Vergebung ihrer Sünden, wenn sie reuevoll zum Glauben zurückkehrte, rege zu machen.
An diesem feierlichen Tage hatten sich alle in ihrem Krankenzimmer eingefunden uud lösten sich ab in ihrem Dienste. Bald trat die eine und bald die andere vor ihr Bett, suchte sie zu trösten und versicherte der armen auf dem Sterbebett Ächzenden, daß es gar keine Gefahr mit ihr habe.
Als eine gefährliche Krise indessen eintrat und der am Abend zuvor herbeigerufene Arzt erklärte, daß er für das Leben der Kranken nicht länger bürge, schüttelten sie ihre Köpfe und traten zu einer Beratung zusammen. Franziska, die Magd, stimmte dafür, daß man Madame Bellefeuille durch einen Kommissionär benachrichtigen solle, aber die alten Frauen fürchteten deren Einfluß auf die Sterbende und gaben erst nach, als sie hoffen durften, die junge Dame würde zu spät eintreffen.
Das Frauen-Kollegium hielt nämlich dafür, daß Madame Crochard einige tausend Taler hinterlassen würde, und weil sie keine Erben vorhanden wußten, außer der Bellefeuille etwa, fürchteten sie, ihr Lohn für ihren Beistand in der letzten Stunde dürfte durch die Gegenwart derselben gemindert werden.
Der Geistliche trat unter salbungsvollen Reden ein. Die drei alten Frauen führten ihn zur Sterbenden und zogen sich in eine entferntere Ecke des Zimmers zurück, um der Beichte nicht hinderlich zu sein. Franziska ging ab und zu, um von den leise gewechselten Reden zur Befriedigung ihrer Neugier soviel als möglich zu erlauschen.
«Mit Freuden sehe ich,« sprach der Geistliche, »daß du, o meine Tochter, dein Herz reuig dem Himmel zuwendest, du trägst da eine Relique bei dir.«
Madame Crochard machte eine schmerzliche Bewegung und zeigte wehmütig das Kreuz der Ehrenlegion. Der Geistliche erschrak und trat einen Schritt zurück, doch bald nahte er sich der Büßerin wieder und setzte seine leise Unterhaltung mit ihr fort.
»Wehe mir!« rief plötzlich die Sterbende laut, »verlassen Sie mich nicht, Herr Abbé, verlassen Sie mich nicht! Glauben Sie wirklich, daß ich die Seele meiner Tochter auf dem Gewissen habe?«
Der Geistliche antwortete mit leiser, unhörbarer Stimme.
»Leider!« rief jene wieder. »Der Bösewicht hat mir nichts hinterlassen, um in meiner letzten Stunde darüber zu verfügen. Als er meine Tochter heiratete, trennte er mich von ihr, gab mir 3000 Franken von einem Kapital, das meiner Tochter zufällt.«
Dies beschleunigte die feierliche Handlung, und der Abbé schickte sich an, das Haus zu verlassen, die drei alten Frauen erhoben sich ebenfalls, um mit ihm zu gehen, und bald war Franziska allein um die Sterbende.
»Ach!« rief sie. »wie unglücklich bin ich, dies ist schon die vierte Herrschaft, die ich begrabe. Die erste ließ mir nur 100 Franken, die zweite nur 50 Taler, die dritte nur 1000 Taler, und das ist alles, was ich auf meine alten Tage besitze.«
Madame Crochard konnte jetzt rufen und schellen, so viel sie wollte, höchstens ein: »Ja. ich komme schon!« ward ihr erwidert, denn Franziska war beschäftigt, alle Kisten und Kasten auszuleeren, und entledigte sich so gewissenhaft dieses Geschäfts, daß jedwede Nachlese unmöglich bleiben mußte.
So von aller Welt verlassen, fand Karoline ihre Mutter.
»O arme Mutter! Ich Unselige! Du littest, und ich wußte es nicht, mein Herz sagte es mir nicht, aber hier bin ich.«
»Karoline!«
»Was, liebe Mutter?«
»Sie haben mir einen Geistlichen gebracht.«
»Und keinen Arzt? – Franziska! einen Arzt. Warum haben die Freundinnen der Madame keinen Doktor holen lassen?«
»Sie haben mir einen Geistlichen gebracht,« stöhnte die Alte.
»Wie sie sich quält! Und nicht einmal ein kühlender Trank ist da, gar nichts auf dem Tische?«
Die Mutter gab ein Zeichen, Karoline verstand es, schwieg, um sie reden zu lassen.
»Sie haben mir einen Geistlichen gebracht, unter dem Vorwande, mich beichten zu lassen,« – ihre Schmerzen hinderten sie, weiter zu reden. »Sei auf deiner Hut, Karoline.« sprach die Alte mit ihrer letzten Kraft, – »dem Geistlichen, wenn ich nicht irre, habe ich den Namen deines
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