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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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universellen Anspruch auf der Habenseite für jeden ja etwas hinzu: Ein nennenswertes Guthaben, das man abrufen könnte, wenn man es wirklich braucht (was bei einer Erbschaft oft nicht der Fall ist), und das sich, zumindest ideell, mit einer später vielleicht zu entrichtenden Erbschaftssteuer verrechnen ließe. Wer einmal einen solchen Kredit zur Erweiterung seiner individuellen Optionen und Lebenschancen von der Gesellschaft bereitgestellt bekommen hat, ist vermutlich eher bereit, auf einen Teil seines Erbes zu verzichten oder vom selbst zu hinterlassenden Vermögen etwas zurückzugeben. Leistungsfähige und Vermögende könnten den erhaltenen Kredit so an die Gesellschaft zurückgeben. Man kann sich das Modell, wenn es erst einmal in Gang gekommen ist, als dauerhaften Kreislauf vorstellen.
    Natürlich sind weitere Finanzierungsmöglichkeiten denkbar. Das Ehegattensplitting beispielsweise, das insbesondere einkommensstarke Paare mit einem Hauptverdiener bevorteilt, gilt schon länger als unzeitgemäß. Experten sind sich einig, dass die über 20 Milliarden Euro, die dieses Instrument jährlich kostet, weit besser angelegt wären, wenn man damit Familien mit Kindern fördern würde. Auch andere sogenannte »ehe- und familienpolitische Leistungen« sind in ihrem Zuschnitt und ihrer Verteilungswirkung kritisch zu sehen: So handelt es sich etwa beim Kindergeld und bei dem Kinderfreibetrag um Leistungen für alle Gruppen, ob nun mit großem oder mit kleinem Einkommen. Sie schlagen inzwischen mit über 34 Milliarden Euro jährlich zu Buche: Für das erste und zweite Kind gibt der Staat mehr als 2200 Euro jährlich. Über 25 Jahre hinweg summiert sich das auf über 55 000 Euro pro Kind, mit Zinseszins gar noch viel mehr. Eine Möglichkeit bestünde darin, das Kindergeld nur an Eltern auszuzahlen, die es auch wirklich nötig haben (also die unteren 60 Prozent in der Hierarchie der Einkommensbezieher), vor
allem, wenn mehrere Kinder versorgt werden müssen. Dasselbe gilt für den Kinderfreibetrag, der optional von Besserverdienern in Anspruch genommen werden kann. Für Menschen mit einem Jahreseinkommen von 150 000 Euro oder mehr sind diese Leistungen ein netter Zuschuss, die Lebenschancen des Nachwuchses tangieren sie freilich kaum. Selbst in der Mittelschicht gibt es mittlerweile Elterninitiativen wie die Deutsche Stiftung Kindergeld, die sich diesem Gießkannenprinzip entgegenstellen und ein einkommensabhängiges Kindergeld fordern. Sie rufen daher dazu auf, einen Teil für Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie bedürftige Kinder zu spenden. Wenn manche Menschen schon heute bereit sind, auf Geld zu verzichten, fänden möglicherweise auch entsprechende staatliche Eingriffe Akzeptanz. Der Leser fragt sich womöglich an dieser Stelle: Warum soll der Chancenkredit allen zur Verfügung stehen, der Empfängerkreis des bislang universellen Kindergelds jedoch eingeschränkt werden? Der wesentliche Grund besteht darin, dass das Kindergeld als Zuschuss zu den laufenden Kosten und zur Deckung des aktuellen Bedarfs gedacht ist, doch tatsächlich brauchen nicht alle Familien das Geld. Es kann also durchaus sinnvoll sein, die Deutschen nicht flächendeckend damit zu beglücken. Der Lebenschancenkredit hingegen ist in die Zukunft gerichtet, er sollte allen zustehen. Jeder kann von den Wechselfällen des Lebens betroffen sein oder im Laufe seines Lebens besondere Belastungen erfahren, weshalb der Zugriff auf den Kredit nicht von vornherein auf eine bestimmte Gruppe begrenzt werden kann.
    Für eine Gesellschaft der Lebenschancen
    Wenn es richtig ist, dass Gesellschaften (gemessen an Wohlstand, Kreativität und Zufriedenheit) dann besonders erfolgreich sind, wenn sie zwar Ungleichheit zulassen, zugleich aber verhindern,
dass diese ins Unermessliche steigt, liegt die Herausforderung genau hier: Wie viel Ungleichheit ist möglich, ohne die Chancengleichheit ernsthaft zu beschädigen? Wann wird eine ungleiche Gesellschaft zur Pfründegesellschaft? Und wie können Lebenschancen in einer zunehmend ungleichen Gesellschaft gesichert werden? Unsere gesamte soziale Ordnung beruht auf dem Glauben an die Leistungs- und Chancengerechtigkeit. Die Menschen sind keinesfalls für eine pauschale Nivellierung der Einkommen und Vermögen, sie halten Ungleichheit jedoch nur dann für gerechtfertigt, wenn alle eine faire Chance haben, sich zu entfalten und voranzukommen (Schrenker/Wegener 2007: 11). Wenn dieses Prinzip – etwa durch die Entstehung und

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