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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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Bildungsrückstände ausgleichen werden, während andere ihn brauchen, um Auszeiten für Betreuungsaufgaben in der Familie zu finanzieren.
    Die Idee des Lebenschancenkredits hat historische Vorläufer und lässt sich in unterschiedlichen Varianten denken. Der französische Rechtswissenschaftler Alain Supiot von der Universität Nantes schlug schon 1999 die Einführung sogenannter »Ziehungsrechte« (im Englischen spricht man von »social drawing rights«) vor. Supiot ging dabei von der Beobachtung aus, dass herkömmliche Sozialsysteme immer häufiger Lücken aufweisen. Sie basieren auf einem Modell, das eine Reihe relativ stabiler Statusgruppen vorsieht, sprich Beamte, Angestellte, Arbeiter und Freiberufler. Dass Menschen zwischen diesen Gruppen wechseln und dass es Übergangsphasen geben könnte, damit rechnet dieses System nicht. Unterbrechungen der »normalen« Erwerbsbiografie werden sozusagen »bestraft«.
    Supiot will das traditionelle System mit einem neuen, flexibleren Modell ergänzen. Die Gemeinschaft soll Ressourcen bereitstellen, über die Menschen in Situationen, die aus der alten Logik herausfallen, selbstbestimmt verfügen können. Er denkt dabei nicht nur an prekäre Übergänge, sondern auch an Pausen vom Erwerbsleben, an freiwillige Fortbildungen, zivilgesellschaftliches Engagement, Sabbaticals, die Betreuung von Kindern oder die Pflege älterer Menschen. Das Konzept des Lebenschancenkredits weist in eine ähnliche Richtung, auch hier werden das Anrechtsprinzip und die Entscheidungsfreiheit der Individuen miteinander verknüpft. Gegenüber klassischen wohlfahrtsstaatlichen Transfersystemen nach dem Beitrags- oder Bedürftigkeitsprinzip hätte der Chancenkredit den Vorteil, dass er nicht an umständliche und zeitraubende Anspruchsprüfungen geknüpft wäre, die den bürokratischen Aufwand in die Höhe schrauben.
    Die Idee einer solchen »Anrechtskultur« mag angesichts der aktuellen Diskussion ungewöhnlich, ja vielleicht sogar naiv klingen. Viele werden an dieser Stelle sofort Mitnahmeeffekte und eine Verschwendung öffentlicher Mittel wittern. Es dominiert die Befürchtung, Menschen könnten überfordert sein, wenn es darum geht, einen solchen Kredit mit Maß und Ziel einzusetzen. Irgendwo ist diese intuitive Reaktion allerdings paradox, wenn man bedenkt, dass gleichzeitig permanent an die Eigenverantwortung der Bürger appelliert wird.
    Außerdem dürfen wir die Tatsache nicht länger ignorieren, dass das derzeitige System mit viel Geld und hohem administrativen Aufwand oft wenig erreicht. Zahllose Maßnahmen verpuffen ohne größere Wirkung, Steuersubventionen in Milliardenhöhe fließen Menschen zu, die sie gar nicht brauchen (und oft auch nicht wollen), man denke nur an das Ehegattensplitting. Folgt man der Logik der Lebenschancen, geht es überdies darum, eine neue Mentalität des Optimismus, des Mutes und des (Selbst-)Vertrauens zu schaffen, also das genaue Gegenteil der
Trostlosigkeit und Müdigkeit, die von der Gängelei, Kontrolle und Besserwisserei ausgehen, die die deutsche Sozialbürokratie derzeit noch allzu häufig kennzeichnen. Aus der Börsensprache kennen wir den Begriff des venture capital , also des Wagniskapitals, mit dem riskante Projekte finanziert werden. Auch der Lebenschancenkredit wäre eine Form des Wagniskapitals: Wir setzen darauf, dass die Menschen damit etwas Sinnvolles anstellen – und dass auf diesem Weg auch ein »Gewinn« für die Gesellschaft herausspringt. Hier geht es aber nicht um Rendite, sondern um Lebenschancen und damit auch Chancen für die Gesellschaft insgesamt.
    Bildungschancen
    Wie bereits angesprochen, sollten die Menschen die Mittel aus dem Lebenschancenkredit vor allem in drei Bereichen investieren: Bildung, Zeit und zur Abfederung sozialer Risiken. Beginnen wir mit der Bildung: Die Themen lebenslanges Lernen und Weiterbildung stehen schon seit Längerem weit oben auf der politischen Agenda. Die nach wie vor relativ hohe Arbeitslosigkeit unter älteren Menschen ist weniger einer »Altenphobie« der Unternehmen geschuldet als vielmehr veralteten Qualifikationen. Was in den sechziger oder siebziger Jahren gelehrt und gelernt wurde, ist heute oft nicht mehr gefragt. Wie fossiliert wirkt manches, was zu früheren Zeiten als à jour beworben wurde. Die Halbwertzeit des beruflichen und technischen Wissens wird immer kürzer, das gilt selbst für basale Kulturtechniken. Wer vor zehn Jahren als Einsiedler in den Bergen oder auf einer einsamen Insel

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