Lebenschancen
Einkommensschwankungen auftreten. Der Kredit könnte solche Falltüren versiegeln, da die Betroffenen weiterhin in der Lage wären, ihre Beiträge zu bezahlen.
Was weitere Verwendungsmöglichkeiten jenseits der drei angesprochenen Bereiche anbelangt, sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Bei einer Diskussion in Südtirol wies mich eine Unternehmerin darauf hin, das größte Problem junger Menschen mit einer Geschäftsidee bestehe darin, an Startkapital zu kommen. Tatsächlich sind Banken oft sehr zögerlich, wenn zwar eine Idee, aber keine Sicherheiten vorhanden sind. Hier käme dann der Chancenkredit ins Spiel. Insbesondere junge Frauen, so die Unternehmerin, hätten dann bessere Chancen, ihre Ideen zu realisieren.
Wie, was, wer?
Bei dem hier vorgeschlagenen Modell ist es natürlich von elementarer Bedeutung, dass die Menschen ihr Chancenguthaben nicht bereits früh ausgegeben oder einseitig in den Konsum investieren. Junge Menschen ahnen oft nicht, welche Risiken ihnen auf ihrem Lebensweg begegnen werden. Daher ist auch ein Stück Kontrolle notwendig. Im Gegensatz zu anderen Vorschlägen, die ich noch diskutieren werde, ist es eben nicht egal, wofür das Guthaben eingesetzt wird. Wir befinden uns an dieser Stelle auf dem schmalen Grat zwischen Freiheit und Bevormundung. Wie viel Vorschriften brauchen wir, damit die Hoffnungen, die mit diesem Instrument verbunden sind, auch wirklich aufgehen? Inwieweit können starre Vergaberegeln den erwarteten Freiheitsgewinn auch begrenzen? Wir benötigen also möglichst flexible Mechanismen und Instanzen, die über die Verwendung der Mittel entscheiden. Da der Kredit auch für kreative Ideen eingesetzt werden soll, so dass es unmöglich ist, sich bereits heute auf eine fixe Liste von legitimen Posten festzulegen, sind dabei seitens der »Kontrolleure« ebenfalls eine gewisse Experimentierfreudigkeit und Risikobereitschaft sowie Toleranz gefragt. Wie kann eine sanfte Kontrolle, die viel Entscheidungsspielraum bei den Menschen lässt, eine institutionelle Form erhalten? Zum Beispiel in Form eines Ombudsgremiums, das schnell und unbürokratisch über die Freigabe von Mitteln aus dem Chancenkredit entscheiden würde. Berufen könnte man in solche Gremien unter anderem pensionierte Sozialrichter, Mitarbeiter der freien Wohlfahrtspflege oder Vertreter der Zivilgesellschaft, denen auch eine beratende Funktion zukommen würde, um sicherzustellen, dass die Mittel vernünftig bewirtschaftet und ausgegeben werden.
Wie gesagt: Der Chancenkredit wäre auch ein riesiges soziales Experiment, wir können nicht endgültig absehen, wie (und mit welchem Erfolg) die Menschen das Geld einsetzen würden.
Insofern benötigen wir daher Pilotprojekte, die Bereitschaft zu institutionellem Lernen und den Mut, auch zunächst ungewöhnlich klingende Ideen zu unterstützen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Mehrzahl der Empfänger die Ressourcen ganz bewusst einsetzen würde, um ihre Chancen zu maximieren.
Was den Kreis der Anspruchsberechtigten angeht, sollte das Modell so inklusiv wie möglich sein, allerdings müssen auch Zugangs- und Anspruchsregeln definiert werden. Natürlich sollten alle Deutschen sowie jene Ausländer anspruchsberechtigt sein, die von Kindesbeinen an im Land leben. Andere Regelungen könnte und müsste man für neu hinzuziehende Migranten treffen. Hier sollte die Daumenregel gelten: Je länger die Aufenthaltsdauer, desto größer der Anspruch auf den Lebenschancenkredit. Ähnlich wie beim Staatsbürgerschaftsrecht würde ein mehrjähriger Aufenthalt einen Anspruch begründen. Eine kürzere Aufenthaltsdauer könnte mit Abschlägen belegt werden, so dass nur ein anteiliges Guthaben gewährt wird. Wählt man ein Ansparmodell wie oben angedeutet, müsste für Zuwandernde die Gelegenheit bestehen, Anwartschaftszeiten aufzubauen und gleichberechtigt zu partizipieren. Da das Guthaben weder mitgenommen werden noch für andere Zwecke ausgegeben werden kann, wäre gesichert, dass es nicht jenseits der Grenzen »konsumiert« wird oder andere Mitnahmeeffekte entstehen.
Lebenschancenkredit versus garantiertes Grundeinkommen
Um die Konturen meines Vorschlags weiter zu schärfen, möchte ich ihn kurz zwei weiteren Modellen gegenüberstellen, die aktuell im Zusammenhang mit Flexibilisierung, zunehmender Ungleichheit und dem demografischen Wandel diskutiert werden: dem garantierten Grundeinkommen und der Sozialerbschaft.
Das bedingungslose Grundeinkommen erfreut sich quer durch das
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