Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
die stark an eine Diktatur machthungriger Zwölfjähriger im »Herr der Fliegen«-Stil erinnert. Und wenn nicht, dann hat man immerhin noch warme Füße!
Die meist unmodische Fußbekleidung aus Kautschuk stemmt sich tapfer jedem sauren Fichtenwaldboden, Schlick, Schlacke und Rotz entgegen, wenn der Rest des Schülers schon längst zu einer bibbernden Biomasse verkommen ist. Der einzige Nachteil ist die intensive Gasentwicklung, durch die es im luftdichten Schuhinneren spätestens nach zwei Stunden wie Opa Theos Mittelstrahl riecht. Gummi ist nun mal in beide Richtungen undurchlässig – was sich nicht von außen durch das Material seinen Weg bahnt, füllt der schwitzende Körper im Nu von innen auf. Spätestens nach zwei Stunden schwimmt der Fuß geradezu in den Stiefeln hin und her, der organische Schmier verhindert allerdings auch, dass man sich Blasen läuft, was wiederum ein Pluspunkt ist.
Gefürchtet waren in unserer Schule besonders die Gummistiefel von Sportlehrer Schmitz, die er uns bei seinen selbst erfundenen »Querfeldeinläufen« vorführte. Dabei handelte es sich um Wanderungen, deren Ziel er bestimmte, indem er sich mit zugehaltenen Augen mehrmals im Kreis drehte, abrupt stoppte und uns dann zeigte, wohin wir nun zu gehen hatten. Ob sich dort nun ein Brennnesselfeld, eine Bergspitze oder ein schlammiger Abhang befanden, war in Herrn Schmitz’ Kosmos kein Hindernis, sondern vielmehr ein weiterer Grund, die verweichlichten Schülerkörper endlich mal vor eine angemessene Herausforderung zu stellen.
Schlafsack
Schulische Mittel sind begrenzt. Die der meisten Haushalte ebenfalls. Dies schlägt sich darin nieder, dass die ausgewählten Jugendherbergen und »Hotels« (sofern in dieser Kategorie der Begriff »Internierungslager« nicht besser passt) eher spartanisch ausgestattet sind. Spartanisch heißt in diesem Fall Etagenbetten mit Gitterrost, bequem wie eine Wanne voll Tischlernägel, meist ergänzt mit einer frottierten Polyesterdecke und einem Kopfkissen härter als Klitschkos Rechte. Also, wichtiger Tipp für den Klassenfahrtsurvivor: Schlafsack mitnehmen, wenn möglich, die Himalajavariante mit Dododaunen und Goretex-Schwitzschutzselbstreinigungsanlage. Der Schlafsack ist der einzige Weg, um zu verhindern, dass man innerhalb der ersten Nächte an der Polyesterbettdecke festfriert und dann am nächsten Morgen vom ADAC aus dem Bett geschnitten werden muss.
Außerdem geben Schlafsäcke auch ein wenig Heimatgefühl ab, sie sind wie ein kleines Stück Instantzuhause zum Aufrollen. Wenn die Lehrer beim finalen Zapfenstreich noch mal die einzelnen Zimmer abgehen, finden sie daher reihenweise Kinder wie die Ameisenpuppen in Schlafsäcke eingeschnürt. Nur die aus einem kleinen Loch herausragenden Gesichter und der in der kalten Zugluft kondensierende Atem zeugen von Leben in den Zimmern, schockgefrostete Teenager im Winterschlaf können wenigstens nicht nerven, was kann es für einen Ruhe suchenden Pädagogen Schöneres geben?
Feuchte Tücher
Unverzichtbar! Auch wenn dieses Mitbringsel bei den Mitschülern wahrscheinlich erst mal zweifelnde Blicke erzeugt, machen sich Feuchttücher aufgrund der mangelnden Hygieneanlagen der meisten Unterbringungen sehr schnell bezahlt. Auch schon im Reisebus, der höchstens mit einer hin und her schwankenden, unbeleuchteten Chemietoilette ausgestattet ist und geradezu dazu einlädt, mit dem nackten Hinterteil bei einem Schlagloch herzlich hinabzurutschen, sind Feuchttücher die Rettung. Am besten nimmt man die Dinger gleich kistenweise mit und macht damit sonstige Ausstattung wie Unterwäsche und Duschgel obsolet.
Die Toiletten von Jugendherbergen erinnern meist eher an die Güllegruben eines Römerlagers, nur die giftgrüne Siebzigerjahre-Kachelästhetik verrät, dass man sich nicht im Wald, sondern im zugigen Innenraum eines schlecht beleuchteten Nassraums befindet. An der Decke flackert eine milchverglaste Leuchte, in der sich Generationen von Fluginsekten selbst geröstet haben. Der Fußbodenbelag besteht aus rutschsicheren, grauen Viereckquadern, die mit einer verdickten Mixtur aus Sand und Schülerurin verklebt wurden. Die Taktik der Jugendherbergsleiter, lieber einen Spülschwamm an einer Ratte festzubinden, statt zu putzen, hat zu diesem unbarmherzigen Mörtel geführt, der schlimmer riecht als ein Bahnhofsklo im Karneval. Nach wenigen Augenblicken hat sich der Mief tief durch den Schülerschuh gefressen, wer also die nächsten zwei Wochen Klassenfahrt nicht
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