Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
zwischen den Fehlermeldungen und dem Gepiepse des PCs immer wieder nur laut fluchen.
Das Budget unserer Schule war von Herrn Sommer mittlerweile so massiv zusammengestrichen worden, dass die Sportlehrer wahrscheinlich schon fürchteten, Herr Sommer würde die Turnhalle als Schlafsaal untervermieten und die Basketbälle durch Kürbisse ersetzen. Auch bei der Planung unserer Abschlussfahrt war der Rotstift früh angesetzt worden. Herr Wolke verkündete, dass die Schule keine Reisesubvention für die Lehrer anbieten könne und wir uns deshalb etwas im Umkreis von dreihundert Kilometern suchen sollten. Die Wahl fiel einheitlich auf Amsterdam, auch wenn Kemal noch Antalya ins Rennen warf (»Können wir bei meiner Oma schlafen, alle, ist Gastfreundschaft«), was Herr Wolke mit einem kritischen Blick auf die Europakarte ablehnte. Amsterdam, Hauptstadt der Niederlande, zeitweilige Heimat vieler wichtiger Künstler wie Van Gogh, Rembrandt und Louis van Gaal, sollte also das Ziel unserer Abschlussfahrt sein, der rituelle Endpunkt unserer Schullaufbahn.
»Boah, super, Amsterdam …«, lachte Patrick neben mir und stieß mir grinsend mit seinem Ellbogen in die Seite. In seinen Augen blitzte eine Vorahnung von Rausch und Exzessen auf, er dachte wohl weniger an die Gemälde alter Meister. Mit ein wenig Wehmut schaute ich in das Gesicht meines engsten Freundes. Auch wenn ich die Schule oft als Folter empfunden hatte, auch wenn sich vieles unfair und entwürdigend angefühlt hatte, war das nahende Ende unserer Schulzeit trotzdem etwas, dem ich mit gemischten Gefühlen entgegensah. Schule war Struktur und Ordnung, etwas, das die unendliche Anzahl an Möglichkeiten für uns in eine Bahn gelenkt hatte. Außerdem war es komisch, bald nicht mehr wie selbstverständlich neben Patrick zu sitzen, morgens nicht mehr mit meinem Vater im Passat zur Schule zu fahren, irgendwie würde es mir fehlen. Ob Patrick meine Gefühle teilte?
»Die haben da sogar ein Sexmuseum, yeah!«, sagte er und knuffte mich wieder in die Seite.
Wahrscheinlich eher nicht.
Family Business
Herr Wolke bereitete uns schon Tage vor der Abfahrt mit ausschweifenden Monologen über die Geschichte Amsterdams auf unsere Klassenfahrt vor. Bildreich erzählte er von der bewegten Geschichte der Stadt, die von einem kleinen, verschlafenen Fischerort zur Hauptstadt der Niederlande geworden war, weshalb es sich sicher lohne, in die »Untiefen dieser Metropole« einzutauchen. Herr Wolkes farbenfrohe Formulierung traf voll ins Schwarze, auch wenn er das so sicher nicht beabsichtigte. Das Ziel der meisten Klassenfahrer waren eindeutig die Untiefen der Stadt, allerdings weniger die geschichtsträchtigen Hauptstraßen als vielmehr die ebenso geschichtsträchtigen Seitengassen.
»Da gibbet Nutten, überall nur Nutten, hat mein Bruder gesagt«, prahlte unser Frauenbeauftragter Gökhan direkt mit seinem Fachwissen, bis Herr Wolke nicht mehr um ein gebrülltes »Schnauze, Gökhan« herumkam. Herr Wolke war locker genug, um zu wissen, dass das eine oder andere Bier auf einer solchen Fahrt fließen würde. Doch viele der urbanen Legenden, die Gökhans Bruder und andere viel gereiste Geschwister weitergegeben hatten, entsprachen nicht ganz seinen Vorstellungen von der Wahrung der Aufsichtspflicht. Für uns jedoch klang es sehr verlockend, dass man in Amsterdam anscheinend an jeder Ecke Drogen hinterhergeschmissen bekam und selbst die Omas im Park mit der Haschpfeife dasaßen und zu Technomusik mit Eichhörnchen tanzten.
Doch dann öffnete sich die Tür unseres Klassenzimmers, und innerhalb weniger Augenblicke schien die Temperatur um mehrere Grade gefallen zu sein. Unser neuer Schulleiter trat ein, den wir mittlerweile nur noch »Lord Voldemort« nannten. In der Reihe vor mir konnte ich sehen, wie sich Hannas Schulterblätter zusammenzogen, als ihr Vater in seinen schwarzen Lederschuhen den Raum betrat. Herr Wolke schreckte ruckartig aus seinem Stuhl auf und musste sich am Pult festhalten. Auch wenn er gerne erzählte, dass er als junger Mann wegen seiner Sprungweite »der Panther« genannt wurde, war er mittlerweile eher »der Panda«.
»Ach, wie schön, dass Sie da sind, Direktor Sommer«, machte Herr Wolke ein wenig Politik, während der Angesprochene nur mit einem halbseitigen Aufblitzen seiner Haifischzähne reagierte.
»Danke, Herr Wolke«, sagte unser Schulleiter gnädig und nickte.
»Kinder, wie ihr wisst, steht ja bald eure Abschlussfahrt nach Amsterdam an«, eröffnete Herr
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