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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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traurig.
    Ich sah ihn an, wie er da gebrochen mit seinem Handgepäck unterm Arm durch das Flugzeug schlurfte, und er tat mir leid. Er war seinem Anspruch, dass jeder Urlaub einem Bildungsauftrag folgen musste, in unserer Woche konsequenten Vollrauschs nicht wirklich gerecht geworden.
    »Ach Papa, wir haben doch eine Menge gelernt!«, versuchte ich ihn aufzumuntern und sah ein hoffnungsvolles Blitzen in seinen Augen.
    »Ja, zum Beispiel Kasatschok und die gesammelten Werke von Modern Talking«, stellte Patrick trocken fest und rückte seine Mütze zurecht.
    »Und noch was«, ergänzte mein Vater lachend: »Potstalom mui uvidimsje snova«.

Das doppelte Lehrerkind
    Meine Anmutung als todessehnsüchtiger Samurai hielt lange genug, um den Sommer zu überdauern, vielen in der Schule war ich mit meinem bekritzelten Verband als Alleinstellungsmerkmal wohl zum ersten Mal aufgefallen, und auch in Hannas Bewusstsein war ich mittlerweile ein Plätzchen höher gerückt. Auch an anderer Stelle hatten sich Veränderungen ergeben: Sina hatte sich von Patrick getrennt, was er mit einem geradezu erschreckend pragmatischen »Tja« kommentierte. Einfach nur »Tja«. Als sie ihm eines Abends offenbarte, dass ihr Herz mittlerweile weitergewandert sei und die kindische Verliebtheit den Alltag nicht überdauert habe, schnalzte Patrick nur dieses nüchterne »Tja« und ging. Den herzzerreißenden Heulanfall, den sie noch auf dem Bordstein bekam, hörte er schon nicht mehr, weil er, ohne sich umzudrehen, in den Bus gestiegen war.
    War Liebe wirklich so einfach an- und auszuziehen wie ein Paar neue Schuhe, die man am Anfang gerne trug und sie dann abgelaufen und alt in die Ecke warf, sobald ihr Zenit überschritten war? Für Patrick anscheinend schon, er machte sich nichts aus großer Dramatik, für ihn war ein Ende auch gleich wieder ein Anfang, und er fasste seine Gedanken dazu oft recht knapp zusammen.
    »Weiber«, sagte er nur und lehnte sich mit hinter dem Kopf zusammengeschlagenen Händen auf meinem Bett zurück.
    »Vermisst du sie denn nicht?«, fragte ich ihn unsicher, denn wenn Freundinnen so austauschbar waren, waren es Freunde dann nicht auch?
    »Na ja, ein bisschen, aber bei sieben Milliarden Menschen auf der Welt wird sich schon jemand anderes finden«, war sein nüchternes Urteil, das Sina innerhalb von Augenblicken von einer Herzensangelegenheit zur Fremden degradiert hatte.
    Sieben Milliarden Menschen, und mich interessierte doch nur eine: Hanna Sommer. Doch auch bei ihr kündigten sich Veränderungen an, als der Herbst eintrat und wir alle plötzlich Oberstufenschüler waren.
    Unser Schulleiter ging in Pension, Herr Lobe war ein herzlicher, etwas verschrobener Bürokrat mit dichtem Haupthaar und einer beigefarbenen Sakko-Anzughosen-Kombination, die er anscheinend die letzten vierzig Schuljahre getragen hatte. Zu seinem Abschied gab es zeremonielles Brimborium in der Aula, Hände wurden geschüttelt, Reden gehalten, Herr Lobe verabschiedete sich sichtlich gerührt und mit heiserer Stimme. Seinem Nachfolger, Herrn Sommer, wünsche er von Herzen alles Gute, sagte er.
    Als der Nachfolger die Bühne betrat, um ein paar Worte an uns zu richten, war gleich klar, wer Herr Sommer war.
    Er war Hannas Vater.
    Auch wenn er sich unter den fleischigen Gesichtszügen und dem Doppelkinn geschickt maskiert hatte, sah man ihm die Verwandtschaft an. Die Augen hatten ein ähnliches Blitzen, der Mund verzog sich beim Lächeln in der gleichen Manier und gab den Blick auf eine ebenso gerade Zahnreihe frei wie die von Hanna. Es setzte sofort ein Tuscheln im abgedunkelten Saal ein, und unzählige Augen fixierten Hanna, drehten sich zu ihr um und starrten sie an, wie sie wohl auf ihren Vater reagieren würde. Doch nichts geschah, sie klatschte und lächelte, während ihr Vater eine kurze Rede hielt, die von »großen Umbrüchen im Schulbetrieb« und »zukünftigen Herausforderungen« handelte. Hanna war also auch ein Lehrerkind, ein Umstand, der allen bisher verborgen geblieben war, so auch mir.
    Das also war ihr großes Geheimnis gewesen.
    Irgendwie machte es mich froh zu sehen, dass wir mehr gemeinsam hatten als gedacht. Auch wenn Herr Sommer im Gegensatz zu meinem sehr ironiebegabten Vater eine staatsmännische Anmutung hatte und statt abgetragener Sakkos von der Stange lieber teure Markenanzüge trug, hatten seine Bewegungen etwas Mechanisches. Er wirkte mehr wie ein Politiker als wie ein Schulleiter. Mit einem Ruck zog er beim Sprechen seine

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