Lebenslänglich
wir damals hineingestolpert sind, als wir zusammen auf Streife waren. Erinnern Sie sich an Filip Andersson?»
Julia Lindholm legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke.
«Keiner glaubt mir», sagte sie. «Nicht einmal Nina. Alle fragen nur, was ich getan habe, nicht, was die andere Frau getan hat.»
Sie richtete den Blick auf Annika.
«Sie kennen Nina doch noch? Sie kann einem schon leidtun, sie ist so einsam. Sie wohnte mit ihrer Mutter in einem kleinen Häuschen außerhalb von Valla, sie hatte zwar Geschwister, aber die waren viel älter. Ihre Mutter war ein richtiger Hippie; als Nina klein war, lebte sie in einer Kommune auf den Kanarischen Inseln. Nina war neun, als sie in Valla in die Schule kam, und konnte weder lesen noch rechnen.
Meistens übernachtete sie bei uns auf dem Hof, hat sie Ihnen das erzählt?»
Sie beugte sich über den Tisch.
«Da ist ein Kollege auf der Wache, ein wahnsinnig netter Polizeikommissar namens Pelle Sisulu, der ist schon seit Jahren in Nina verliebt, aber sie weigert sich, das ernst zu nehmen. Sie glaubt, sie sei es nicht wert, geliebt zu werden. Ich wünschte, ich könnte ihr helfen …»
Sie lehnte sich wieder auf dem unbequemen Stuhl zurück und betrachtete Annika forschend.
«Die Leute können einem so leidtun», sagte sie. «David ist ohne seinen Vater aufgewachsen, er hatte nur diesen Stiefvater, der kam und ging, wie er wollte. Als David neunzehn war, ist sein Stiefvater verschwunden, ohne je wieder von sich hören zu lassen. Ich glaube, deshalb ist David Polizist geworden.»
Sie neigte den Kopf zur Seite.
«Können Sie einem leidtun, Annika?»
Annika schnappte nach Luft.
«Nein, ich denke nicht.»
«Sie haben also jemanden, der Sie liebt?»
Ja, die Kinder.
«Tue ich Ihnen leid?», fragte Julia. Annika nickte.
«Ist das der Grund, warum Sie an mich glauben?»
«Nein», sagte Annika. «Ich sehe mehrere Zusammenhänge zwischen den Morden, und ich finde, die Polizei hat sie nicht ausreichend untersucht.»
«Sie glauben also, dass da eine andere Frau war?»
Wieder nickte Annika.
«Das sage ich doch die ganze Zeit!»
«Ich weiß. Die Frage ist nur, wer diese Frau ist und wohin sie Alexander gebracht haben könnte. Haben Sie eine Idee?»
Julia schüttelte langsam den Kopf.
«Erinnern Sie sich an Filip Andersson? Den Axtmörder?» Julia erschauerte. Ihr Blick glitt ziellos die Wände entlang.
«Ich habe Filip Andersson vor ein paar Tagen im Gefängnis von Kumla besucht», sagte Annika. «Ich glaube, dass er vielleicht ebenfalls unschuldig verurteilt wurde. Es könnte sein, dass jemand anderes diese Axtmorde begangen hat, und wenn diese Person entkommen ist, könnte er oder sie auch David ermordet haben …»
Im Besuchszimmer wurde es für geraume Zeit still. Irgendwo unter der Decke brummte der Frischluftventilator. Julia starrte reglos an die Wand.
«Ich weiß, dass jemand dort war, als ich wach wurde.»
Annika schwieg und spürte, wie sich die Haare in ihrem Nacken sträubten. Julia nestelte an den Haarsträhnen, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten, und strich sie hinter die Ohren.
«Es knallte», sagte sie mit leicht brüchiger Stimme. «Ich glaube, ich bin davon aufgewacht, dass es knallte. Ich wusste nicht, woher es kam, ob ich es vielleicht geträumt hatte oder so.»
Sie wandte den Blick zur Decke.
«Es roch seltsam. Irgendwie eklig, ganz anders, als es sonst immer in unserem Schlafzimmer roch. Ein bisschen verbrannt irgendwie … Jemand bewegte sich durchs Zimmer, ich glaube, ich habe etwas gesehen.»
In der Stille wurde das Brummen des Ventilators lauter. Annika starrte die Frau an, konnte die Augen nicht von ihrem Mund abwenden.
«Dann knallte es wieder, meine Ohren fielen zu, es dröhnte und piepte irgendwie …»
Der Schuss in den Schritt. Du sollst nicht ehebrechen.
Julia rang nach Luft, es klang abgehackt, fast röchelnd.
«Bin ein bisschen erkältet», sagte sie entschuldigend. «Ich hab mir einen Schnupfen eingefangen, keine Ahnung, wie ich das hingekriegt habe, wo ich doch seit einem hal ben Jahr isoliert bin, vielleicht hat mich eine der Wärterinnen angesteckt, oder Vollzugsbeamtinnen, wie sie wohl heißen …»
Annika atmete durch den offenen Mund, um nicht schlucken oder sich räuspern zu müssen.
Julia nickte vor sich hin und wischte sich mit dem Pulloverärmel die Nase trocken.
«Mein Herz wummerte im Kopf und im ganzen Körper, ich weiß nicht, wie ich das erklären soll…»
Sie strich sich wieder
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