Lebenslänglich
eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
«Haben Sie jemanden gesehen?», fragte Annika heiser. «Haben Sie gesehen, wer geschossen hat?»
«Es war vollkommen dunkel, David konnte ja nicht schlafen, wenn es nicht pechschwarz im Zimmer war. Ich weiß nicht, ich habe niemanden gesehen.»
«Wissen Sie noch, was Sie gedacht haben?»
Julia schüttelte den Kopf. Sie schwiegen eine Zeit lang. Julia zog ein Papiertaschentuch aus der Jeans und putzte sich die Nase, dann knüllte sie es zu einer kleinen Kugel zusammen.
«Und was passierte dann?», fragte Annika.
«Alexander hat geweint. Ich hörte, dass er weinte, obwohl meine Ohren zu waren. Also bin ich aufgestanden, um nach ihm zu sehen.»
«Wo war Alexander?»
Julia sah sie verwundert an.
«In seinem Zimmer natürlich. In seinem Bett, es war ja mitten in der Nacht.» «Und was passierte weiter?»
Julia kroch in sich zusammen und zog die Schultern hoch, es sah aus, als versuchte sie, sich klein zu machen. Die Haarsträhnen fielen ihr wieder ins Gesicht.
«Alexander stand in der Diele. Er umklammerte seinen Teddy. Sie stand hinter ihm und hatte ein Messer in der Hand. Er sagte ‹Mama›. Sie sah mich an. Ich spürte, dass sie mich ansah.»
«Die andere Frau? Die in der Wohnung war? Wie sah sie aus?»
Julias Blick irrte durch den Raum.
Annika hatte ihre Beschreibung der «anderen Frau» in Berits Prozessbericht gelesen.
Halblanges Haar oder ganz kurz. Nicht hell und nicht dunkel. Mittelgroße Erscheinung, normale Figur.
Julia sah auf die Tischplatte. Das psychiatrische Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass Julia sich selbst beschrieb, wenn sie von der Mörderin sprach. Der Verteidiger hatte es ihr bestimmt erzählt.
«Ich war das nicht», sagte sie und kratzte sich an den Handgelenken. Annika sah, dass sie große Kratzwunden an den Armen hatte.
«Was hat sie mit dem Messer gemacht?»
Sie kratzte heftiger.
«Sieschnitt…»
«Es passiert Ihnen nichts, erzählen Sie ruhig», sagte Annika.
Julias Hände beruhigten sich, sie sah ausdruckslos die Wand an.
«Und sie … sie schnitt ihm in die Wange und legte die Hand auf seinen Mund … und sie hatte Handschuhe an …»
«Sie hat Alexander ins Gesicht geschnitten?» Tränen stiegen ihr in die Augen.
«Und ich habe nichts unternommen», sagte Julia. «‹Ich erwürge ihn›, hat sie gesagt.
‹Ich erwürge ihn, wenn du schreist. Es ist ganz leicht, kleine Kinder zu töten›, hat sie gesagt… O mein Gott… was habe ich getan …?»
Und Julia Lindholm begann zu weinen, still und leise. Annika saß reglos auf der anderen Seite des Tisches und sah zu.
Sie griff nach ihrer Handtasche, um Julia ein Taschentuch zu reichen, als ihr einfiel, dass sie die Tasche ja unten am Empfang hatte einschließen müssen.
Julia seufzte tief und schluchzend und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab.
«Ich habe ihm nicht geholfen. ‹Wenn du mir folgst, schneide ich ihm die Kehle durch), hat sie gesagt. Er weinte. Er sagte ‹Mama›. Da hat sie ihm in die Wange geschnitten, sie hat ihm ins Gesicht geschnitten, und ich weiß, dass ich versucht habe zu schreien, aber es ging nicht, und dann weiß ich wirklich nicht mehr, was passiert ist…»
Ein Schluchzen schüttelte sie.
«Ich konnte ihm nicht helfen. Sie hat ihm mit dem Messer in die Wange geschnitten, und ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich hatte so schreckliche Angst, dass er sterben würde …»
Das Blut auf dem Fußboden. Es hatte Alexanders DNA.
«Ich glaube, die Frau kannte David», sagte Annika. «Können Sie mir helfen, sie ausfindig zu machen?»
Julia schüttelte den Kopf, streckte die Hand nach dem benutzten Papiertaschentuch aus und trocknete sich die Augen.
«Sie ist unglaublich gefährlich», sagte sie. «David hatte wahnsinnige Angst vor ihr.
‹Sie ist verrückt), hat er gesagt. ‹Halt dich bloß fern von ihr.›» Annika bekam Gänsehaut.
Spricht sie von sich selbst?
«Wer ist sie? Wissen Sie, wie sie heißt?» Julia schüttelte wieder den Kopf.
«Sie hat ihr Kind abgetrieben», sagte sie. «Als ich mit Alex ander schwanger war. David hat es nie zugegeben, aber ich weiß, dass es so war. Ich habe das Ultraschallbild gefunden, es wäre ein Mädchen geworden. Ich hätte ihn damals verlassen sollen, ich hätte kapieren müssen, dass er immer andere Frauen haben würde.»
«War es die gleiche Frau, die angerufen hat?», fragte Annika. «Die anrief, als Alexander klein war, und sagte, dass Sie David freigeben sollen?»
Julia zuckte leicht mit
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