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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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erfühlte das Gewicht des Unbekannten, der ihr Kind niederwarf. Sie wußte nicht genau, wonach sie suchte, aber sie war fest entschlossen, so lange weiterzusuchen, bis sie etwas gefunden hatte.
    Es war Ende Juni. Der Mord war am 30. April geschehen. Nur noch ein paar Tage bis zum 4. Juli, dachte Gail, stand auf und warf einen letzten Blick auf die Anlage. Es ist genug Zeit verschwendet worden. Die sechzig Tage sind um.

11
    Gail beschäftigte sich am Wochenende hauptsächlich mit der Lektüre von Presseberichten über anormales Sexualverhalten. Sie erfuhr, daß die Welt voll sei von Menschen, die entweder dem Gruppensex frönten oder es auf Friedhöfen und Kirchenbänken trieben, während andere gleichgeschlechtliche Partner bevorzugten und wieder andere sich mit Tieren oder mit den lieben Dahingeschiedenen vergnügten. Manche liebten Züchtigungen, andere Sodomie; die einen standen auf Exhibitionismus, die anderen auf Voyeurismus. Manche schlugen gern; anderen gefiel es, sich schlagen zu lassen.
    Sie lernte sämtliche Fachausdrücke. Einige gängige Begriffe - wie etwa Homosexualität, Lesbianismus und Sodomie - waren ihr schon geläufig. Auch Masochismus, Sadismus und Vergewaltigung
kannte sie. Neu waren Ausdrücke wie Nekrophilie, Koprophagie und Pädophilie.
    Pädophilie - auf Kinder gerichteter Sexualtrieb Erwachsener. Die Artikel bestätigten vieles von dem, was Lieutenant Cole ihr bereits gesagt hatte, daß sämtliche Triebtäter fast ausschließlich männlichen Geschlechts seien, in der Regel jung, daß sie Frauen entweder haßten oder fürchteten, daß sie aber auch sich selbst haßten und ihre eigenen Bedürfnisse fürchteten. Ihre Eltern waren häufig Bestien, die sie als Kinder mißhandelt oder vernachlässigt und dadurch ihr Schicksal bis zu einem gewissen Grad vorherbestimmt hatten. Kleine Grausamkeiten steigerten sich im Laufe der Zeit. Es gab wenig Möglichkeiten, solchen Menschen zu helfen, aber noch weniger, andere vor ihnen zu schützen.
    Männer, die kleinen Mädchen nachjagten, waren in der Regel zurückhaltend, wenn nicht gar feige. Sie töteten mehr aus Angst vor Entdeckung, als aus dem Wunsch, ihrem Opfer weiteres Leid zuzufügen, wenngleich es auch Geistesgestörte gab, denen das Morden an sich höchsten Lustgewinn verschaffte.
    Die Gesellschaft hatte ihre Haltung gegenüber sexuell Abartigen im Laufe der Jahre geändert. Strikte Ablehnung war gleichgültiger Duldung gewichen. Heute herrschte die Meinung vor, Erwachsene dürften in ihren vier Wänden miteinander tun, was immer ihnen Spaß machte - vorausgesetzt, alle Beteiligten seien einverstanden. Privatclubs und sogar öffentliche Badeanstalten wurden zur Plattform für dieses zunehmend anerkannte neue Sozialverhalten.
    Selbst krankhaft Abartige, Sexualpsychotiker, die ihre Triebe befriedigten, ohne zu fragen, die Menschen vergewaltigten und sinnlos Leben zerstörten, ohne sich um das Alter ihrer Opfer zu kümmern, durften inzwischen auf ein gewisses Mitgefühl rechnen und wurden nicht mehr für ihre Taten verantwortlich gemacht.
    Tageszeitungen und Illustrierte waren voll von Berichten über grobe Verstöße gegen die sogenannte Gerechtigkeit. Gail saß im
Ohrensessel im Wohnzimmer, auf dem Schoß eine Zeitung, neben sich eine Tasse Kaffee und zu ihren Füßen einen Stapel Illustrierte. Im Geiste ging sie noch einmal alle Meldungen durch, die sie in den neuesten Ausgaben von »Time Magazine« und »Newsweek« gelesen hatte.
    In Kanada war der Großvater eines zwölfjährigen Mädchens angeklagt worden, seine Enkelin sexuell belästigt zu haben. Der Richter hatte die Klage abgewiesen, nachdem eine ausführliche Befragung des Mädchens ergeben hatte, daß die Kleine sich nicht erinnern konnte, wann sie zum letztenmal in der Kirche gewesen war. Der Richter argumentierte, ohne religiöse Erziehung könne das Kind die Bedeutung einer Aussage unter Eid, die es hätte machen müssen, nicht verstehen. Da das Mädchen aber die einzige Zeugin der Anklage war, wurde das Verfahren gegen den Beklagten niedergeschlagen.
    Gail hatte diesen Bericht dreimal gelesen, um sicherzugehen, daß sie ihn verstand und nichts übersehen hatte. Als sie überzeugt war, richtig gelesen zu haben, ließ sie die Zeitung auf ihren Schoß sinken und blickte hinüber zu Jack, der sich auf dem Sofa in einen Spionageroman vertieft hatte. Sie fand, die Bedeutung des Artikels liege klar auf der Hand: Kinder zählten nicht als vollwertige Menschen; man würde immer wieder

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