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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Sonderling und Außenseiter der Gesellschaft, der aus einem zerrütteten Elternhaus stammt. Nach meiner Theorie hat er keinen festen Wohnsitz, sondern logiert in einer Pension, irgendwo hier in New Jersey. Früher oder später wird er sich verraten, und dann schnappen wir ihn.«
    »Aber wenn er nun gar nicht mehr in New Jersey ist?«
    Lieutenant Cole antwortete nicht gleich. Schließlich stellte er ihr eine Gegenfrage. »Spielen Sie Bridge?«
    »Nein.«
    »Meine Frau und ich, wir spielen einmal die Woche. Wissen Sie, beim Bridge muß man nicht nur Glück haben, da kommt’s auch auf die Strategie an. Wenn zum Beispiel einer reizt, den Stich aber nur kriegen kann, falls ein bestimmter Spieler eine bestimmte Karte hat, so muß er aus taktischen Gründen beim Bieten annehmen, daß diese Karte genau da ist, wo sie sein sollte. Das gleiche trifft auch auf Verbrecherjagden zu. Wenn wir annehmen,
der Mörder habe den Staat verlassen, können wir gleich aufgeben. Wir haben nur dann eine Chance, den Mann zu fassen, wenn er sich noch in New Jersey aufhält. Also gehen wir davon aus, daß er hier ist. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Gail ging auf seinen Vergleich nicht ein. Statt dessen stellte sie die Frage, die sie während der letzten zwei Monate gewiß schon hundertmal gestellt hatte: »Was unternehmen Sie jetzt?«
    »Wir halten Augen und Ohren offen. In ganz Essex County haben wir Männer in einschlägigen Pensionen postiert. Wir beschatten Verdächtige. Vielleicht setzen wir eine Belohnung aus für sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen.«
    »Kann ich irgendwas tun?«
    »Gönnen Sie sich Ruhe.« Der Kommissar schien besorgt. »Sie müssen wieder zu Kräften kommen. Gehen Sie weiter zu den Treffen der Selbsthilfegruppe. Versuchen Sie wieder ein normales Leben zu führen.«
    »Das haben Sie mir alles schon so oft gesagt.« Gail bemühte sich, ihn ihre Ungeduld nicht merken zu lassen. Er wollte ihr doch nur helfen, das wußte sie. »Ich möchte ja bloß wissen, ob ich was tun kann.«
    »Ich hab’ Sie schon verstanden. Aber Sie können nichts tun, glauben Sie mir.«
    »Ich komm’ mir so nutzlos vor.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Ach, gar nichts wissen Sie!«
    Lieutenant Cole schwieg eine Weile. Als er wieder sprach, klang seine Stimme beunruhigt. »Gail, versuchen Sie Geduld zu haben. Wir tun, was in unserer Macht steht.«
    Sie nickte. »Ich melde mich bald wieder.«
    Gail legte den Hörer auf und ging ins Arbeitszimmer. Auf dem dunkelgrünen Ledersofa lagen aufgeschlagen die Fotoalben, die sie am Vorabend durchgeblättert hatte. Sie setzte sich und nahm eins auf den Schoß. Einmal mehr blickte sie bestürzt auf die lächelnden
Gesichter ihrer bis vor zwei Monaten noch so glücklichen Familie. Da waren Aufnahmen von Kostümfesten, Geburtstagsfeiern, Ferien in Florida. Ein wenig ängstlich saß die zweijährige Cindy bei Ebbe auf einem Felsen im Meer. Ihre besorgte Mutter war nicht im Bild. Cindy räkelte sich neben ihrem Großvater auf einem Liegestuhl; Cindy als Dreijährige, wie sie ganz allein mit Schwimmflügeln im Planschbecken badete; ein Jahr später, wie sie ohne Hilfe schwamm; Cindy als Fünfjährige auf dem Sprungbrett.
    In Gedanken paarte Gail jede glückliche Erinnerung mit einer schmerzlichen. Mal hatte sie ihre Tochter zu hart angefaßt, mal sie zu streng getadelt. Es kostete sie besondere Überwindung, die Bilder anzuschauen, die Cindy am Klavier zeigten.
    Im allgemeinen war sie eine geduldige Mutter, und auch bei ihren Schülern hatte sie in der Regel unerschütterliche Langmut bewiesen, doch wenn ihre Jüngste sich an der Tastatur abmühte, wurde Gail zum unerbittlichen Tyrannen. Sobald Cindy ihre Übungen vernachlässigte oder auf dem Klavierhocker herumzappelte und trödelte, wurde Gails Stimme schrill vor Ärger. Nicht selten war Cindy am Ende der Stunde in Tränen aufgelöst, und Gail konnte ihre eigene Stimme nicht mehr ertragen.
    Wenn Gail jetzt das Klavier anschaute, sah sie in Gedanken Cindys tränenverschleierte Augen. Schließlich mied sie das Instrument. Den Eltern ihrer Schüler teilte sie mit, daß der Unterricht bis auf weiteres ausfallen müsse. Sie schienen eher erleichtert als enttäuscht darüber.
    »Gail«, sagte eine sanfte Stimme hinter ihr, »glaubst du nicht, es sei an der Zeit, die Alben wegzulegen?«
    Gail blickte auf. Carol war noch im Nachthemd. »Ich hab’ sie angebrüllt.« Gail schluchzte. »Ohne Grund.« Sie vergrub das Gesicht in den Händen.
    »Schön,

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