Lebenslang Ist Nicht Genug
allem aber Frauen posierten für diese Aufnahmen?
Sie erreichte den letzten Gang. Auch hier das gleiche Angebot - nur noch drastischer. »Männer, die Knaben lieben«, las sie, nahm das Heft aus dem Regal und betrachtete das Foto eines etwa dreißigjährigen Mannes und eines höchstens vierzehnjährigen Jungen. »Verirrtes kleines Mädchen« lautete ein anderer Titel. Die zugehörigen Abbildungen zeigten ein junges Mädchen, das hergerichtet war wie ein Kind. Ihr langes Haar war zu Zöpfen geflochten und mit Schleifen geschmückt. Ihr knabenhafter Körper steckte in einem kurzen, offenen Leibchen. Sie trug Kindersöckchen und dazu passende Schuhe. Da sie keinen Schlüpfer anhatte, sah man, daß ihr Schamhaar abrasiert war. Mehrere Männer mittleren Alters streichelten das Mädchen.
Was mache ich nur hier? fragte sich Gail, plötzlich von Panik ergriffen. Sie hatte das Gefühl, unbedingt frische Luft zu brauchen, und rannte zum Ausgang. Aber da tauchte aus dem Nichts ein ausgestreckter Arm auf und versperrte ihr den Weg.
Gail fuhr zusammen und sah sich dem jungen Mann gegenüber, dem sie gefolgt war. Er war größer, als sie angenommen hatte, vielleicht über einsachtzig, und trotz seines schlanken Wuchses sehr muskulös.
»Suchen Sie mich?« fragte er spöttisch lächelnd.
Gail rang vor Verblüffung nach Luft. Hinter ihm lud ein
Schild die Kunden ein, sich im Nebenzimmer das beachtliche Filmangebot vorführen zu lassen.
»Gehn wir zusammen ins Kino?« Der Spott in seiner Stimme war unverkennbar.
Gail zwang sich, ihn anzuschauen. Seine kleinen Augen hatten einen stechenden Blick. Sein Teint war unrein, Nase und Mund waren schmal, die Haare ungleichmäßig lang und nicht gekämmt. Er war weder blond noch braun. Sie schätzte ihn auf etwa zwanzig.
Er trat dichter an sie heran. »Warum laufen Sie mir nach?« fragte er und näherte seine Lippen ihrem Gesicht. »Kann ich vielleicht was für Sie tun? Soll ich’s Ihnen besorgen, gleich hinterm Vorhang da drüben? Sie brauchen nur zu sagen, wie Sie’s haben wollen, Lady, ich mach’s Ihnen.«
Gail versuchte, etwas zu erwidern, aber ihre Stimme versagte.
Er brachte sein Gesicht dem ihren noch näher, streckte die Hand aus und faßte sie am Hinterkopf.
»Hübsches Haar«, sagte er und versuchte, sie an sich zu ziehen.
»Bitte...«, flüsterte sie.
»Bitte? Oh, das gefällt mir. Ich mag’s, wenn meine Frauen brav und höflich sind.«
Gail schlug mit beiden Händen zu. Ihre plötzliche Reaktion überraschte sie fast ebenso wie den jungen Mann. Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück, unsicher, was das zu bedeuten habe. Ehe er sich wieder fassen konnte, stürmte Gail an ihm vorbei. Dabei warf sie einen Stapel Zeitschriften um und sah entsetzt auf die Bilder gefesselter und geknebelter Frauen, die ihr leblos vor die Füße fielen. Im nächsten Augenblick stand sie draußen auf der Straße. Sie rang nach Luft und betete, der junge Mann möge sie nicht verfolgen.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihm in den Laden nachzugehen? Selbst wenn man außer acht ließ, wie unwahrscheinlich es war, den Mörder hier zu finden, konnte dieser Junge nicht der
sein, den sie suchte. Er war zu groß, zu frech, zu unverschämt. Und er hatte offenbar keinerlei Probleme mit älteren Frauen. Er war nicht der Typ, der sich an Kindern vergriff, es sei denn, das Kind war alt genug, um es mit ihm aufnehmen zu können. Sein Interesse richtete sich auf größere Beute. Gail faßte sich langsam wieder, straffte die Schultern und machte sich auf den Weg zum Russischen Tea-room.
Als sie dort eintraf, hatte Carol bereits das zweite Glas Wein bestellt. »Entschuldige, daß ich dich einfach so stehengelassen habe«, sagte sie, ehe Gail die Chance hatte, ihre Verspätung zu erklären.
»Nein, ich muß mich bei dir entschuldigen«, beteuerte Gail aufrichtig.
»Das reicht«, entschied Carol und winkte dem Ober. »Ich hab’ einen Bärenhunger.«
Carol hielt Wort und erwähnte den Vorfall weder Jack noch Jennifer gegenüber, als sie abends im Theater zusammentrafen.
Es wurde ein vergnügter Abend, und am Ende waren sich alle einig, daß sie bald wieder zusammen ausgehen sollten.
15
Nachdem sich zwischen Highway 280 und New Jersey Turnpike eine Reihe besonders abscheulicher Morde ereignet hatte, fuhr Gail jeden Tag dort entlang. Zunächst ging es ihr darum, den genauen Tatort zu bestimmen. Aber selbst nachdem sich auf ihren ersten Streifzügen herausgestellt hatte, daß es keinerlei
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