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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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ihre Brust und blickte zum Küchenfenster hinaus. Dann besann sie sich, nahm den Hörer wieder ans Ohr und fragte: »Was geschieht jetzt?«
    Er antwortete nicht gleich. »Ich fürchte, ich verstehe Ihre Frage nicht«, sagte er schließlich.
    »Wissen Sie, wer diese Frau umgebracht hat?«
    »Noch nicht. Wir haben...«
    »Ich weiß. Sie verfolgen mehrere Spuren.«
    »Gail...«
    »Was wird nun mit Cindys Mörder?«
    »Wir bearbeiten den Fall Ihrer Tochter natürlich weiter.«
    »Veronica MacInnes war die Frau eines sehr vermögenden und einflußreichen Mannes. Wollen Sie mir etwa einreden, Sie hätten nicht all Ihre Männer darauf angesetzt, den Mörder dieser Frau zu finden?«
    »Das schließt aber nicht aus, daß wir nach wie vor den Mann suchen, der Ihre Tochter umgebracht hat.«
    »Ach nein?«
    »Nein.«
    Gail wollte ihm widersprechen, besann sich dann aber eines Besseren und schwieg. Es hatte keinen Sinn, mit dem Kommissar zu streiten. Sie kannte die Wahrheit, selbst wenn er sich nicht dazu bekennen durfte, und diese traurige Wahrheit lautete, daß ihre Tochter für die Polizei kein Thema mehr war. Sie würden ihre Aufmerksamkeit auf einen neuen Fall richten, den zu lösen sie noch eine Chance hatten. Die Jagd nach Cindys Mörder würde man abblasen. Die Spitzel, die noch auf den Straßen von New Jersey unterwegs waren, würde man anderswo sinnvoller einsetzen können.

    Sie wollte schon auflegen, als Lieutenant Cole sie mit einer Frage überraschte. »Was sagten Sie?« fragte sie zurück, um Zeit zu gewinnen.
    »Ich möchte wissen, wo Sie letzten Monat gewesen sind«, wiederholte er.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ganz einfach. Ich hab’ öfter versucht, bei Ihnen anzurufen, aber Sie waren nie zu Hause. Da habe ich mich natürlich gefragt, was Sie die ganze Zeit treiben.«
    Gail versuchte sich zu räuspern, verschluckte sich dabei und hustete in die Muschel. »Ich war mal hier, mal da«, sagte sie schließlich. »Wirklich nicht der Rede wert.«
    »Geht’s Ihnen gut?«
    »Ja, danke.« Gail war jetzt sehr daran gelegen, das Gespräch zu beenden.
    Als sie den Hörer auflegte, wußte sie, daß sie eine neue Phase erreicht hatte. Es war Zeit für einen weiteren Vorstoß. Sie mußte den nächsten Schritt ihres Plans verwirklichen.
    In den letzten Wochen hatte sie eine Reihe von Häusern beobachtet, in denen möblierte Zimmer vermietet wurden, hatte sich die Bewohner einzuprägen versucht und darauf geachtet, wann die einzelnen kamen und gingen.
    Jetzt war es an der Zeit, ihren Beobachtungsposten aufzugeben und sich unter die Leute in diesen Häusern zu mischen. Sie hatte diesen Schritt immer wieder hinausgezögert, in der Hoffnung, die Polizei würde etwas finden.
    Und das hatte sie ja auch. Gail lachte bitter, als sie sich ans Steuer ihres Wagens setzte und ihn aus der Einfahrt lenkte. Sie hatte eine weitere Leiche gefunden.
     
    Die Johnson Avenue war eine schmale, triste Straße, die im rechten Winkel auf die Broad Street zuführte. Sie wurde zu beiden Seiten von heruntergekommenen Backsteinhäusern gesäumt, von deren Holzverschalung die Farbe abblätterte. Die Stufen, die
zu den Haustüren hinaufführten, waren geborsten und ausgetreten. Auf den Bürgersteigen trieb der Wind das Herbstlaub vor sich her, das zusammenzufegen sich niemand die Mühe machte.
    Gail wählte diese Straße aus einer ganzen Reihe ähnlicher aus, weil sie ihr am unauffälligsten schien. Die Johnson Avenue war weder die beste noch die schlechteste Straße in diesem Viertel. Gail war mehreren jungen Männern hierher gefolgt, immer in sicherem Abstand, das Gesicht im hochgeschlagenen Kragen ihres Übergangsmantels verborgen.
    Einmal hatte sie, als sie gerade um eine Ecke bog, in einer Schaufensterscheibe einen flüchtigen Blick auf ihr Spiegelbild erhascht und hätte beinahe laut losgelacht über sich: hochgeschlagener Kragen, Kopf eingezogen, hängende Schultern, schlurfender Gang. Seither hatte sie das Klischee ein wenig abgeschwächt und sich bemüht, nicht zur Karikatur zu werden, sondern so echt zu wirken wie die anderen, die diese Straße bevölkerten, so echt und so unauffällig wie sie. Es war nicht schwer. In vieler Hinsicht fühlte sie sich tatsächlich wie eine von ihnen - allein, zornig, verzweifelt. Es gab Tage, da fühlte sie sich in diesem Viertel eher daheim als in den Straßen rings um den Tarlton Drive. Hier kannte sie wenigstens die Gefahren. Aber in Livingston, in dem gepflegten Viertel für die gehobene Mittelklasse namens

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