Lebenslang Ist Nicht Genug
mitbringen, soviel Sie wollen. Bloß sorgen Sie dafür, daß es nicht auffällt.«
»Ich werde keine Herrenbesuche haben.«
Die Frau sah sie mißtrauisch an. »Nein? Na ja, Ihre Sache. Ich will nur keinen Ärger mit der Polizei. Sie wissen schon.«
»Also ich trinke nicht, ich rauche nicht, und Drogen nehm’ ich auch nicht...«, begann Gail, doch die Frau war schon halb die Treppe hinunter. »Möchten Sie nicht wissen, wie ich heiße?« rief Gail ihr nach.
»Wozu?« fragte die Frau zurück, ohne sich umzudrehen. Auf dem Fußboden bemerkte Gail verstreute Zigarettenasche. Ein paar Sekunden stand sie nachdenklich in dem leeren Flur, dann betrat sie ihr Zimmer.
Das Zimmer war nicht besser, als sie erwartet hatte. Die Wände waren in verschiedenen Gelbgrüntönen gestrichen, und auf den Holzdielen lag kein Teppich. Wenigstens ist es sauber, dachte Gail erleichtert. Die Einrichtung bestand nur aus dem Allernötigsten: in der Mitte ein Doppelbett mit einer billigen, blaugeblümten Tagesdecke darüber; ein farblich undefinierbarer Lehnstuhl, der völlig durchgesessen war; eine billige Lampe auf einem noch billigeren Plastiktisch; eine Kommode.
Gail setzte sich aufs Bett und stellte erstaunt fest, daß es stabil war. Aber das spielte keine Rolle, denn sie würde sowieso nicht darin schlafen. Plötzlich fühlte sie sich beklommen, die Wände schienen auf sie zuzukommen und sie zu erdrücken. Sie eilte ans Fenster. Es war klein, und davor hing eine fadenscheinige blaue Gardine. Gail blickte hinunter in einen düsteren Hinterhof. Sie fühlte sich isoliert, abgeschnitten von der Straße und von ihrer Routine. Wie konnte sie hoffen, hinter diesen abweisenden Türen jemanden zu finden?
Ihr wurde übel, und sie wäre beinahe gegen den kleinen Tisch gefallen. Sie mußte zur Toilette. Wo war nur das Bad?
»Wo ist die Toilette?« fragte sie die Wirtin, als ihr Klopfen endlich Gehör fand.
Die Frau hatte die Tür nur einen Spaltbreit geöffnet. »Oh, hab’ ich’s ihnen nicht gezeigt? Am Ende vom Gang. Es gibt ein Klo in jedem Stock.«
»Heißt das, im Zimmer ist keins?«
»Haben Sie eins gesehen?«
»Ich dachte nur...«
»Wissen Sie, was es mich kosten würde, in jedem Zimmer’ne Toilette installieren zu lassen? Sie machen wohl Witze? Und wer sollte die Dinger instand halten? Ich müßte dauernd Angst haben, daß einer was in den Abfluß schmeißt, was da nicht reingehört. Das dürfen Sie übrigens nicht machen. Bei mir wohnen nicht oft Frauen, deshalb vergess’ ich’s manchmal zu erwähnen.«
»Was für Leute wohnen denn so bei Ihnen?« »Was soll die Frage?« Die Frau faßte die Klinke fester und schloß die Tür so weit, daß Gail nur noch ein Viertel ihres Gesichts sehen konnte. »Sind Sie von der Polizei?«
»Ich? Von der Polizei?« Gails Lachen war echt. »Nein, ich bin nur... einsam«, gestand sie und wunderte sich selbst über ihre Worte.
Die Frau entspannte sich und stieß mit dem Fuß die Tür auf.
»Wollen Sie was trinken?« fragte sie.
»Ich hätte gern eine Tasse Tee«, sagte Gail, ohne zu überlegen.
»An Tee hatte ich nicht gerade gedacht«, sagte die Frau. »Aber ich schätze, daß hier noch irgendwo’n alter Wasserkessel rumsteht. Kommen Sie rein.«
Das Zimmer war etwa doppelt so groß wie das, welches Gail gerade gemietet hatte. Eine Tür führte in das angrenzende kleine Schlafzimmer. Außerdem gab es noch eine Kochnische und ein Bad. Die Wände waren in dem gleichen Gelbgrün gestrichen wie das übrige Haus, und die Möbel stammten samt und sonders von der Heilsarmee. Die Frau suchte in der Anrichte nach dem Kessel.
»Da ist er ja«, rief sie schließlich triumphierend. »Ich wußte doch, daß ich irgendwo einen habe. Ich glaube, ich weiß noch, wie man Wasser kocht. Setzen Sie sich und machen Sie’s sich bequem.«
»Ich heiße Gail«, sagte Gail, die im letzten Augenblick beschlossen hatte, nicht zu lügen.
»Und ich bin Roseanne«, stellte die Frau sich vor, während sie am Spülbecken Wasser in den Kessel füllte und ihn aufsetzte. »Na los, nehmen Sie Platz. Vor dem Hund brauchen Sie keine Angst zu haben. Rebecca tut ihnen nichts, außer wenn ich’s ihr sage. Rebecca, runter von der Couch!« Der Hund gehorchte sofort, sprang von seinem gemütlichen Plätzchen auf dem verschossenen weinroten Samtsofa herunter auf den Boden und legte sich vor den Fernseher.
Gail blickte unbehaglich zwischen dem kleinen Schwarzweiß-Fernseher und der großen schwarzbraunen Hündin hin und
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