Lebenslauf zweiter Absatz
einer kleinen, schmalen, hölzernen Tonne ähnlichen Behältnis, dessen lichte Höhe ungefähr fünfundvierzig Zentimeter betrug und durch dessen dicht schließendenDeckel eine Art Besenstiel mit schöner Maserung geführt war, an dessen unterem Ende sich eine durchlöcherte Holzscheibe von der Größe eines handelsüblichen Frühstückstellers befand. Bewegte ich nun mit Hilfe des Stiels die Scheibe durch den Rahm und tat ich es lange genug und tat ich es in einem bestimmten Rhythmus, der sich herstellte, wenn ich ein Lied mit dem die Schönheit des Werkens sinnfällig machenden Text »Oh, was klötert das / in mein’ Butterfaß!« absang, so bildete sich nach schrecklich langer Zeit und auf unerklärliche Weise, immer synchron mit schmerzenden Blasen an meinen Händen, im Fasse Ziegenbutter. Ein weiteres Mal war dann bestätigt worden, daß Materie nie verschwindet, sondern nur in gewandelten Formen wiederkehrt.
Hierzu noch eine Anmerkung für solche, die in die Gesetzmäßigkeiten der Natur weniger tief eingedrungen sind als ich und denen rasch aus dem Sumpf der Unwissenheit herausgeholfen werden muß: Auch Energie ist nichts weiter als eine der Spielformen der Materie. Über den bewegten Butterfaßschwengel führte ich meine Energie der Sahne zu, die daraufhin zu Butter ward, von der ich mich dann nährte, um zu neuen Kräften zu kommen, die ich wiederum benötigte, um weitere Butter herstellen zu können. Aber es dünkt mich fast, ich sei hier zu einem Abschweif im Begriffe und entfernte mich allzuweit vom güldenen Kern meines Berichtes, also von der Tatsache, daß mein Vater zu unser aller Erleichterung und Freude eines sonnigen Tages Gold gefunden hat. Bevor aber dies geschah, ward uns die Ziege gestohlen.
Wir hätten es leichter zu tragen gewußt, wäre eine Ahnung in uns gewesen, wie nahe schon mein Vater seinem Ziele war. Wir hatten aber diese Ahnung nicht, undso waren wir bestürzt. Selbst ich, obwohl ich das Vieh haßte. So widersprüchlich kann das Leben sein.
Eine Woche vor dem Diebstahl hatte mein Vater sich die Hand verstaucht. Das war zwar weit weniger schlimm als ein Augenschaden, der die Goldsuche sehr erschwert hätte, aber immerhin setzte es meinen Vater außerstande, die Ziege zu melken. Da sich diese nun mit meiner Mutter überhaupt nicht vertrug, erklärte sich ein Arbeitskollege meines Vaters, ein gewisser Cornelius Bein, bereit, zweimal täglich der Ziege Zitzen zu ziehen.
Cornelius Bein handelte selbstlos. Außer einem kräftigen Frühstück vor dem Morgenmelken und einem herzhaften Imbiß nach dem abendlichen Euterzerren nahm er keinerlei Entlohnung an. Die Minuten auf dem Melkschemel, so sagte er, seien schmerzhaft rare Augenblicke der Zwiesprache mit dem großen Pan, brächten ihn in ein süß-quälendes Du-auf-du-Verhältnis mit dem Allwebenden, und wonach weiter solle ihn da noch verlangen?
Nun, eines Tages verlangte ihn nach unserer Ziege, und er klaute sie. Wäre ich auf eine Kriminalgeschichte aus, so hätte ich mit diesem Bescheid die Pointe verschossen; da ich aber vom Künstlertum meines Vaters sagen will, räumte ich mit meiner Enthüllung nur ein irritierendes Fragezeichen aus dem epischen Flusse, der uns weiter tragen soll als in das Röhricht eines stümperhaften Eigentumsdeliktes.
Kurzum, die Ziege fand sich eines Abends nicht mehr an jener Stelle, an der sie am Morgen angepflockt worden war, und als ich statt mit der Ziege an der Kette mit einer Kette ohne Ziege nach Hause kam, verlangte meine Mutter sofort nach einem Kriminalkommissar, aber mein Vater wollte davon nichts hören. Sie würden höchstenseinen Wachtmeister schicken, sagte er, und die fänden bei Leuten wie uns nur Sachen, nach denen zu suchen man sie gar nicht gebeten habe. Darauf komponierte meine Mutter eine Annonce: »Die Person, welche eine Ziege, weiß, auf rechter Seite braune Fleckenmusterung in Form des Malaiischen Archipels, entwendet hat, ist erkannt und wird gebeten …« Mein Vater verwarf auch diesen Vorschlag, aber die Erwähnung der fernöstlichen Inselgruppe auf der rechten Flanke unserer Ziege erleuchtete ihn. Er sagte, wir alle hätten in der nächsten Stunde strengstes Stillschweigen über unseren Verlust zu wahren, er selbst müsse rasch noch einmal fort, werde aber bis zum Eintreffen von Cornelius, der heute nachmittag zum Zahnarzt gegangen sei und deshalb eine Stunde später als gewöhnlich komme, wieder da sein. Wir sollten uns verhalten, als sei rein gar nichts geschehen.
Mein
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