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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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der könnte ihr Vater sein. Ichwünschte, sie bedächte das; es hätte erklärt, warum sie wieder so ferne und stille war.
    Mit einem dünnen Satz gab sie mir Hoffnung, mit einem andern nahm sie die gleich. Von uns war keiner in Kaukasus, ging der erste, und der zweite ging: Aber nu gehts in Himmel.
    Hätte sie nicht dagesessen wie ein Gebild aus Staub und überjährten Gräserrippen, wär kein anderer Gedanke gewesen als der an Fahrt. Oder der noch, sie im Arm bergab oder bergauf zu tragen. Aber: Wenn du mir rührst, geh ich doot. Ich mußte es glauben. Es war etwas Äußerstes, da blieb nur noch Sprache. Mir blieb sie nur; von dort und zu dem hab ich die Profession.
    Dies ist später gefertigtes Denken; beim Aufenthalt, von dem aus Frau Schmidt zu den Himmeln wollte, dachte ich weniger bedeutend von mir. Mir war nicht nach Sängerpflicht und Auftrag der Kunst, ich wollte nicht im Berufsbild bleiben, ich wollte nichts, ich konnte nur nicht anders. Oder doch, ich wollte die Stille nicht, in der ich Frau Schmidt so sterben hörte.
    Frau, sagte ich, werte Frau Schmidt, mir scheint, Sie übersehen nicht die Lage. Von hier aus, Madame, in den Himmel zu machen ist einfach nicht ratsam. Hier ist gar nicht wo, hier ist ein Grenzfall, wie sollte denn der in die Akten? Abjemeldt, noch nicht anjemeldt, dies ist mit Ihren eigenen Worten Ihr Umstand zur Zeit.
    Aus solcher Schwebe, Frau Schmidt, tut man besser nicht den großen Schritt, denn wenn man Ihr Ziel auch den Himmel heißt, so weiß man doch wenig von seinen Prinzipien.
    Kann sein, es ist ein Ort wie die Erde nicht, und Ordnung zählt nicht zu den himmlischen Regeln. Kann sein,der liebe Gott schert sich den Teufel um Meldepflicht und nimmt die Seele, wie sie kommt. Kann wirklich sein, Frau Schmidt, aber ist es so?
    Soweit es sich um das Jenseits handelt, ist schließlich alles denkbar. Denkbar ist auch: Sie kommen dort an, stellen sich vor, und dann stehen Sie da, weil nirgendwo nachgewiesen. Abjemeldt, nicht anjemeldt, ausgetragen, nicht eingetragen, von dort nicht mehr, von dort noch nicht, das könnte auch über den Wolken als heillos gelten.
    Ich frag Sie, wollen Sie wirklich mit solcher Aussicht auf den Weg?
    Reglos, atemlos lag meine Passagierin. Lag sie auch gedankenlos? Ich hab seither, dies gleich zu melden, nicht weiteren Einblick gehabt in ihr Leben, bin also weiterhin unvertraut mit ihrem Fastjahrhundert, vermute, vermute nur ihren Ursprung pregelwärts und oderüber, weiß nicht, wer Marga ihr Großer war, ahn nicht, woher ihr das Lied vom großangelegten Tambour, hab keinen Bescheid, warum sie jenem Siegfried nicht traute und warum diese Reise am Ende noch. Ich hab nur das Bild von ihr im Rahmen zwischen Grenzpunkt Wartha und Grenzpunkt Herleshausen, ein Winziges auf ihrer Erdenfahrt war ich Zeuge, da verbeiß ich mir allen Roman.
    Und komme jetzt auf sie zurück, wie sie reglos lag und ich mich fragte, ob auch gedankenlos. Das eine, zeigte sich, tat sie, das andere nicht; den Prozeß aus ihrem alten Kopf hab ich nicht, wohl aber das Ergebnis.
    Nee, sagte sie, denn jehts noch nich, denn will ich noch lieber was pusten.
    Sie rührte sich, sah sich um, fand den Griff überm Armaturenbrett, faßte ihn fest mit beiden Händen undsagte mit festerer Stimme zu mir: Nu kutsch mir wieder in Verhältnisse!
    Da spannte ich fünfzig Rosse an, stieß in die Hüfte die Faust mit den Zügeln, stemmte einen Fuß und den andern Fuß fest auf den Wagengrund und wollte eben jagen, als neben mir Frau Schmidt zu einem hundertjährigen Gelächter sich bog.
    Gebenedeite, was jetzt noch? Zu Tod jetzt noch Wahn, erst Sterben und dann fideles Irresein, nach stockendem Herzen nun ein geschrägter Verstand; das kam mir reichlich grob vor.
    Sie, Jungchen, sagte Frau Schmidt, und sie hatte wahrhaftig Tränen, Sie, junger Mann, das hätt aber gekonnt sein eine scheene Geschichte!
    Mir war sie just schön genug, doch dem Alter muß man das Ohr auftun, wenn es auf solche Weise Urteil angekündigt hat. So lauschte ich, und ich denke, ich tat es ergeben.
    Das mecht ich doch wissen, sagte das Mütterlein und hatte wieder den Blick dazu, wissen mecht ich das, wohin Sie mir geliefert hätten als Abjelebte.
    Nun, liebe Frau Schmidt, sprach ich, mit einiger Gewalt sehr zusammengefaßt, das müssen wir, gottlob, doch nicht erörtern.
    Wir vielleicht nicht, Frau Schmidt und ich, aber ich und ich, wir hatten das schon zu besprechen. Es ist eine lange Übung zwischen uns, mir und mir, was uns

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