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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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geschieht, auf seine Folgen zu bedenken; wie kämen wir sonst zu Geschichten.
    Frau Schmidtens Frage war uns nicht fremd, so befremdet wir auch taten, und ich log, als ich leugnete, mit dem Gedanken bekannt zu sein: Wohin mit Frau Schmidt im Falle, Frau Schmidt geht von hinnen?
    Und die Spanne zwischen ihrer Erkundigung und meinem Entschluß, die Maschine nun endlich in Gang zu bringen, reichte hin für einen wüsten Film mit Frau Schmidt und mir in den Rollen, sie entseelt und ich entgeistert:
    Rückwärts wollte man uns nicht mehr, man fand uns zu verändert. Vorwärts wollte man uns nicht, man fand uns zu anders als beschrieben.
    Abjemeldt, nicht anjemeldt, doppeltes Bedauern, doppelte Verneinung vor allem.
    Von Übersiedlung, hieß es vorn, sei im Papier die Rede, und nicht von Überführung.
    Ausreise, so hörte ich andrerseits, stünde im Buch vermerkt, doch nichts von so verfremdeter Rückkunft.
    Testate verlangte, wen ich auch sprach, urkundlich Zeugnis wollte man haben: Ob ich zu solchem Transport denn befugt. Ob er geschah nach Frau Schmidts Letztem Willen. Ob sie auch wahrlich aus Mangel an Kraft und nicht an feindlicher Wirkung gestorben. Ob wer belegen könne, was ich da sprach und was allzusehr wie Erfundenes klänge. Ob ich also Beweise hätte.
    Ich aber hatte, so sah ich das in meinem Traumgebild, ich hatte nur die kühle Frau Schmidt, und so hatte ich entschieden zuviel und hatte gar sehr zuwenig.
    Und als mir genug war von allem Gefrage und erst recht vom tief bedauernden Verständnis, da zogen wir uns an den toten Punkt zwischen Grenzschild und Grenzschild zurück, Frau Schmidt und ich samt Waschgestühl, Kernobst und Marga ihrn Großen, und auf den letzten Bildern des Films, der uns dort zeigt, sieht man bei fliehendem Licht die stille Frau Schmidt, und ich, sieht man auch, bin ihr schon merklich angeglichen.
    Solch lebloser Ausgang schreckte mich auf, ich machte dem Kino ein Ende: Mit Kraftfahrers Umsicht, doch in aller Hast, floh ich den Niemandsort, und meine Frau Schmidt, dies fand ich sehr schön, nahm nun auch nicht mehr Anstoß.
    Nach Traum folgte Prosa: Grenzmensch West war da und litt über meinem Reisepapier. Neffe West war auch da und litt beim Anblick der Tante. Der Grenzmensch war ein Wissenschaftler; er schrieb alles auf. Der Neffe wollte mir von Tantens Äpfeln schenken; mich dünkt, er war nicht sehr belichtet.
    Ich trug ihm die leichte Frau Schmidt ins Mobil, und mir war, als summte sie das Lied vom Tambour dazu.
    Sie nahm nicht weiter merklich Abschied von mir, ich auch nicht von ihr; wir waren im reinen. Ich hatte ihr, auf kurz, den Himmel verdächtigt, sie mir die Erde, ein Stück mehr.
    Gemach, ihr Freunde der schönen Literatur, dies ist kein niederdrückender Ausgang, denn seht doch: Frau Schmidt ist wieder anjemeldt, und ich bin, belehrt, zurück aus Kassel.
    Im Übergang an leerem Ort vorbei,
    wo keines Amtes Rosse weiden.
    Herrenlos, ordnungslos, Kyrie elei,
    son Ödplatz will ich künftig meiden.

FRAU PERSOKEIT HAT GRÜSSEN LASSEN
    Es ist uns zu laut gewesen, wo wir wohnten, und so haben wir eine neue Bleibe gesucht, und wir haben sie gefunden. Das Haus hat nicht ausgesehen wie eines, das Geld kosten würde. Es war nur eine Bretterbude, aber gekostet hat sie mehr, als wir besaßen.
    Bei Verwandten konnten wir nichts leihen, reiche Freunde hatten wir nicht, und unsere Nachbarn waren dran wie wir. Da blieb nur Frau Persokeit.
    Anfangs habe ich geglaubt, Frau Persokeit verleihe ihr Geld, weil sie es hatte. Weil sie eben half, wenn sie helfen konnte. Aber dann hörte ich jemanden sagen, man müsse dem Weib das Dach anzünden, und einmal war auch von Erschlagen die Rede. Das war mir unverständlich, solange ich nichts von den Zinsen wußte.
    Wie ich es kannte, borgte man sich fünf Mark und brachte fünf Mark zurück. Man lieh sich vom Nachbarn den Blockwagen und gab ihn sauber wieder ab. Kein Gedanke an Quittungen oder Pfänder oder gar Draufgeld.
    Mit Frau Persokeit war das anders. Wenn sie einem tausend Mark gegeben hatte, bekam sie schriftlich, daß es tausendzweihundertfünfzig gewesen waren. Sie lebt davon, sagte mein Vater.
    Mein Vater versuchte, mir zu erklären, wo die Grenze zwischen zu hohen Zinsen und Wucherzinsen verlief, und er hatte Schwierigkeiten damit. Dabei war es leicht gewesen, mir zu zeigen, warum man Frau Persokeit Zinsen zahlte und den Nachbarn nicht. Mit den Nachbarnwar es eine Sache auf Gegenseitigkeit. Heute liehen wir bei ihnen, morgen sie bei

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