Lebenslauf zweiter Absatz
Hilfe. Wir mußten fort, und wir liehen das Geld, und da war das Haus, und es gab auch noch ein Stück Land dazu.
Anfangs sah das Haus gewiß nicht aus, als habe es Geld gekostet. Es war eine Bleibe, die sich einpaßte in die Reihung Kellerloch, Dachverschlag, Bahndammstollen, Abdeckerskammer und Schlupfwinkel im Gängeviertel. Eine Bretterbude dort, wo der Wind von See nach Hamburg weht.
Das Land war torfiges Moorland. Vor dem Haus hattenwir einen Graben, in dem man nach mäßigem Regen baden konnte, und auf dem Schulweg hatten wir Kreuzottern. Gas, Wasser und elektrisches Licht gab es nicht, aber es gab auch keine elektrische Straßenbahn. Das einzige Elektrofahrzeug war der Rollstuhl von Frau Persokeit. Sie kam, wenn die Raten überfällig waren.
Nach zwei Besuchen brachten wir das Geld lieber selbst, denn Frau Persokeit blieb zum Essen, und sie berechnete uns den Rollstuhlstrom. Es focht Frau Persokeit wenig an, daß meine Mutter meinte, der Summe nach müßte sie drei Tage zu uns unterwegs gewesen sein. Sie wohnte in Flottbek, und von dort nach Osdorf-Nord geht es tatsächlich mehrmals bergauf. Aber erst durch Frau Persokeits Wegbeschreibung haben wir erfahren, daß man sich vom Elbufer bis in unsere Höhen ähnlich quält wie von der Pazifikküste auf die südliche Kordillere.
Zu allem sprach Frau Persokeit auch noch in einem Ton, der aus dem älteren Louisiana stammen konnte, und sie benahm sich in meines Vaters Haus, als sei sie zur Aufsicht bei Onkel Tom in der Hütte. Und mein Vater, dem ich das ungern nachsage, schien versucht zu sein, sie mit Missus anzureden.
Doch auch die Rebellion wuchs auf unserer Baumwollheide. Meine Mutter änderte an beiden Tagen, an denen uns Missus Persokeit überfiel, den Speisenplan und kochte Buchweizengrütze. Es hatte zwar nicht Spanferkel geben sollen, aber einmal war von Labskaus die Rede gewesen und das andere Mal von Armen Rittern. Nun gab es Buchweizengrütze, von der bekannt war, daß Frau Persokeit sie verabscheute.
Von mir war das nicht so bekannt, aber es traf zu, und es kam zu einem Gefühlsgemenge in meinem Herzen.Ich freute mich, weil die Geldeintreiberin Buchweizengrütze essen sollte, und ich freute mich nicht, denn ich mußte von derselben Speise nehmen. Unverschnittenes Glücksempfinden machten mir nur meiner Mutter Reden. Wir hatten, erfuhr man da, seit der Anleihe bei Frau Persokeit nichts anderes mehr zu Mittag oder Abend gegessen, und so sollte es fortgehen mit uns bis zur letzten Rate. Wir hatten, erfuhr man ferner, einen Bauern in Schenefeld gefunden, der bereit war, uns die Grütze zu Selbstkosten zu liefern, dafür war ich ihm als künftiger Knecht verschrieben worden. Wir hatten, erfuhr man auch, bereits Zeichen von Buchweizenausschlag an uns beobachtet, und das war nach Kenntnis meiner Mutter der erste Fall von Fagopyrismus am Menschen. Ach, habe ich meine Mutter geliebt, wie sie da so von Fagopyrismus sprach, aber es ist beschlossen worden, Frau Persokeit die Raten doch lieber zu bringen.
Das hatte ich zu besorgen, und ich tat es nicht gern. Ich wußte mir Besseres, als fremden Leuten eigenes Geld hinzutragen, zumal so fremden wie Frau Persokeit. Die hat mir die Quittung geschrieben, und aus einem großen Glas hat sie einen Bonbon ausgesucht. Sie muß mich für wählerisch gehalten haben, denn sie prüfte lange, ehe sie den richtigen fand. Da er nicht eingewickelt war, würde er nach ihr schmecken. In einem Akt von schierer Willenskraft gelang es mir, den Drops zwischen Gaumen und Zunge in der Schwebe zu halten, und vor dem Haus von Frau Persokeit habe ich ihn aus meinem Munde fallen lassen.
Da traf es sich, daß Frau Persokeit sparsam mit ihren Bontjes war. Den einen hatte es zum Dank gegeben, daß sie nicht mehr hinauf zu uns in die Anden mußte, undfortan ging es zwischen uns wieder unherzlich zu, wie es sich für Schuldner und Gläubiger gehört. Bis wir ein weiteres Mal säumig wurden. Da ließ uns Frau Persokeit von mehreren Nachbarn herzliche Grüße ausrichten, und wir wüßten schon, warum.
Aber wir wußten nicht, was wir machen konnten. Denn wenn sich Leere auch nicht steigern läßt, so hatten wir es doch mit gesteigerter Leere zu tun. Mein Vater hatte seine Hand verstaucht und feierte krank. Meine Mutter konnte nichts hinzuverdienen, weil mein Bruder in einer seiner hysterischen Phasen war. In der Schule war das Milchgeld für mich fällig gewesen. Bei Kruligks hatte es gebrannt, und es war gesammelt worden. Meine Stiefel
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