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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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mußten zum Schuster, oder ich brauchte neue. Der Gärtner, für den ich Sämereiprospekte ausgetragen hatte, entlohnte mich mit Grünkohl- und Zwiebelsamen. Der Sommer war weit, und wir waren blank, und Frau Persokeit hatte grüßen lassen.
    Da mußte mein Vater auf die Runde zu den Nachbarn, und er ließ uns wissen, er hasse das.
    Dann wirst du wohl wieder eine Bank ausrauben müssen, sagte meine Mutter.
    Das habe er auch schon lange satt, entgegnete mein Vater, und ich mochte es, wenn meine Eltern so redeten. Aber mein Vater hat meine Fröhlichkeit für Schadenfreude genommen, und ich mußte mit auf die Pumprunde. Ich hätte lieber eine Bank ausgeraubt.
    Die Nachbarn taten, als wüßten sie nicht, weshalb wir kamen, und wir taten, als kämen wir zu Besuch. Weil ich dabei war, wurde zuerst die Schule beredet. Daß ich Schwierigkeiten mit dem Singen hatte, wurde als Nachricht angesehen. Frau Pragl holte sogar ihre Tochter herbei,damit sie etwas vorsänge. Ich fand, die hatte auch ihre Schwierigkeiten, aber wir wollten den Leuten ja nicht die Wahrheit bringen, sondern Geld bei ihnen holen. Frau Pragl ließ ihr Kind nicht alle Lieder singen, die es konnte, und meinem Vater sagte sie zum Trost, ich sei wohl gut im Rechnen.
    Zu spät bemerkte sie das falsche Wort, aber mein Vater machte gleich daran fest. Vom Rechnen kam er aufs Geld, von dem auf die Schulden, von denen auf die Wucherzinsen, von da zur fälligen Rate, und nun fragte es sich fast von selbst, ob die Nachbarn wohl helfen könnten.
    Frau Pragl konnte nicht. Herr Heiliger konnte nicht.
    Frau Diebel konnte auch nicht. Herr Staroski konnte auch nicht. Frau Schwattner hätte gern gekonnt. Frau Schleymann und Frau Birkemann dachten nicht daran. Herr Binder war den Tränen nahe. Frau Kirschbeet weinte. Aber sie konnten alle nicht.
    Frau Pragl hatte Verwandte in Brieske-Ost, das mußte irgendwo in den wendischen Sümpfen liegen, und die Verwandten hatten ein neues Kind, und das Kind hatte ein Bett gebraucht, und Frau Pragl hatte ihr letztes Geld für das Bett von dem Kind der Verwandten nach Brieske-Ost in die wendischen Sümpfe geschickt.
    Also zu Herrn Heiliger. Herr Heiliger hatte gerade vier Wyandottehühner gekauft, wir mußten sie uns ansehen. Wir mußten uns auch anhören, daß Wyandotten aus Kreuzungen von Cochin und Brahma und Hamburger Silberlack und Bantam entstanden waren und zu den chinesischen Rassen zählten, obwohl sie nach einem Indianerstamm hießen. Und ich mußte mir anhören, daß mein Vater mehr für rote Rodeländer war. Weil ihr kirschrotes Federkleid so glänzte. Weil sie die brauchbarstenWirtschaftshühner waren. Weil man sie als bewährte Winterleger kannte. Während die Wyandotten so nackte gelbe Läufe hatten. Und das Cochinchinahuhn so leicht verfettendes Fleisch. Oder die Plymouth-Rocks und die Brahmas einen zu kurzen Schwanz. Wohingegen die roten Rodeländer im Typ doch sehr landhuhnähnlich waren. Außerdem hatten die Wyandotten diesen lächerlichen Rosenkamm. – Ich nehme an, mit dieser Bemerkung hatte mein Vater endgültig gesichert, daß uns Herr Heiliger nichts leihen konnte.
    Also zu Frau Diebel. Frau Diebels Mann war gerade dagewesen, und so brauchte Frau Diebel nicht zu sagen, daß sie kein Geld hatte. Das besondere Verhältnis zwischen Frau Diebel und ihrem Mann war uns gleich in den ersten Tagen unserer Landnahme in Osdorf-Nord erläutert worden. Herr Diebel hatte den Wandertrieb, und Frau Diebel finanzierte das. Herr Diebel mußte schöne Gegend sehen, oder er mußte sterben. Er hätte es für Frevel gehalten, in schöner Gegend zu arbeiten. Schöne Gegend hatte volle Aufmerksamkeit verdient. Und so bekam Herr Diebel alles, was die Kohlenhandlung seiner Frau abwarf, mit auf die Wanderwege.
    Ein Triebtäter! sagte mein Vater, als wir von dieser Nachbarin zum nächsten Nachbarn gingen, und seiner Tonart nach war das ein schlimmes Wort.
    Also zu Jacques Staroski. Bei dem hatten die Vorfahren den Wandertrieb gehabt, denn nach Auskunft Staroskis kam er von den Hugenotten her. Daher der Vorname, und der Nachname kam, weil es diese Familie von Polen nach Frankreich verschlagen hatte, und danach war sie nach Preußen gekommen, und der Letzte des Geschlechts war Jacques Staroski, der bei der Schließgesellschaftdiente und eine Parzelle Torf unter nördlichem Himmel besaß. Wenn der uns Geld gibt, will ich Hugo Notte heißen, sagte mein Vater, und er freute sich, als ich Sinn für so freien Umgang mit den Wörtern zeigte. Noch

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