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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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lud sich der bis dahin alltägliche Ausdruck für mich mit Geheimnis auf.
    Wie die beiden da in der sonnigen Wohnküche saßen, hatten sie wenig Geheimnisvolles. Zwei nicht mehr junge Frauen in Kittelschürzen. Vielleicht war es unordentlich,daß Frau Schleymanns Hand auf Frau Birkemanns Schulter lag, aber ich wagte kein Urteil und sah mit halbblindem Blick auf die Frauenhand auf der Frauenschulter. Es wurde mir warm, und es regte sich in mir eine ungerichtete Lust auf etwas, das wahrscheinlich unordentlich war.
    Wir haben Besuch, Rosi, sagte Frau Birkemann.
    Sehe ich und rieche ich auch, sagte Frau Schleymann.
    Was die wohl wollen, Rosi?
    Sie werden es uns bald sagen.
    Ob es wegen der Persokeit ist, Rosi?
    Wegen der Persokeit und wegen Geld.
    Sehen die nicht gehetzt aus, Rosi?
    Nicht besonders gescheit sehen sie aus.
    Haben wir Geld für sie, Rosi?
    Nein.
    Haben wir einen Rat für sie, Rosi?
    Ich wüßte, was ich mit der Persokeit täte.
    Ob sie drauf kommen, Rosi?
    Die? sagte Frau Schleymann, und ebensogut hätte sie uns in den Hintern treten können. Tatsächlich schien mein Vater ein wenig zu lahmen, als wir wieder auf der Straße waren, und wie einer, der die Wahrheit weiß, sagte er: Die haben den Birkemann mit Redensarten umgebracht! Aber uns das als Rat anzutragen! Da kennen die die Persokeit nicht! Die stirbt nicht an Worten! Die nie!
    Also zu Herrn Binder. Herr Binder benahm sich, als läge ein Toter in seiner Hütte. Er kam uns im Garten entgegen, und weil die Sonne günstig stand, sah man die Tränen in seinen Augenwinkeln. Er zeigte uns seine leeren Hände, und die Gebärde sagte, daß nicht einmal ein Rat zu haben war.
    Herr Binder wies auf die Bretterhütte, aus der es unskalt anzuwehen schien. Es lag niemand aufgebahrt, und doch war es kahl und still im Haus wie von Sterben. Herr Binder hatte alle Türen und Schübe und Deckel in Küche und Kammer geöffnet, und es waren leere Gehäuse in leerem Gehäuse, die wir sahen. Herr Binder war, zeigte die Speisekammer, bei seinen letzten Kartoffeln, seiner vorletzten Zwiebel und einem bräunlichen Rest Margarine angekommen. Herr Binder hatte keine Kohlen im Kasten und keine Suppe auf dem Herd und kaum noch Salz in der gläsernen Menage. Herr Binder hatte keine Kleider im Schrank, aber am Fensterkreuz hing ein Anzug so, daß ihn die Sonne röntgte. Der Anzug war am Ende, und das Haus von Herrn Binder war es auch, und Herrn Binder ging es kaum anders.
    Wir begriffen, und mein Vater hob die Hände zum Abschied, wie Herr Binder die seinen zum Gruß gehoben hatte, und stumm schieden wir von der Sterbestätte.
    Spät erst sagte mein Vater: Maulfaul, aber sonst fleißig. Ein Wunder, daß er sich nicht selber hingehängt hat, damit wir sehen, wie weg er schon ist.
    Also denn zu Frau Kirschbeet, sagte mein Vater, und wir gingen, obwohl es aussichtslos war.
    Ihr Sohn saß eingesperrt aus Gründen, über die man in Andeutungen redete. Nur Frau Kirschbeet sagte deutlich überall, daß sie die Mutter eines Umstürzlers war. Sie arbeitete wie alle Frauen in den Fabriken am Stadtrand, aber sie wechselte häufig. Man warf sie hinaus, wenn sie zu oft von ihrem Sohn erzählte.
    Frau Kirschbeet hatte auch in unserer Sache nur den Rat, der ihr für alle Lebenslagen der richtige schien: Umschmieten möt wi dat, dat möt wi allns umschmieten!
    Das mag wohl sein, sagte mein Vater, nur kriege ich ja nicht einmal die Persokeit umgeschmissen.
    Frau Kirschbeet nickte wie jemand, der solche Antwort zu oft gehört hat, und als ihr die Tränen kamen, gingen wir fort.
    Sonst war es nicht meines Vaters Art, wortlos vor mir herzuhasten, aber jetzt schien er mich vergessen zu haben. Seine Hände steckten in den Taschen seiner Knickerbocker, und die Schultern hatte er hochgezogen, und er pfiff durch die Zähne, was kein gutes Zeichen war.
    Nun wird er wohl doch Frau Persokeit umschmeißen, dachte ich, und vielleicht ist manchen Mördern so, wie mir da wurde. Die Aussicht schien herrlich, das Weib aus dem Stuhl zu kippen, und ich fürchtete mich sehr davor. Um mich von der Bluttat abzulenken, rief ich meinem Vater zu: Und wenn aber einer nun kein Geld hat?
    Mein Vater zog die Schultern noch höher zu den Ohren, nahm die Hände aus den Taschen und winkelte die Arme wie zu einem halbherzigen Flugversuch. Er rief nach vorn in den Wind: Dann muß er raus!
    Im Hinblick auf Frau Persokeit war das oft genug besprochen worden, aber erst hier, beim Rückzug aus einem nicht gewonnenen Gefecht, wurde die

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