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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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es möglicherweise was damit zu tun hat, dass Decker sich in Edinburgh herumtreibt? Oder ist es ihr zwielichtiger Mann? Ein Im-Garten-vergraben-Szenario?«
    »Oder entführt«, sagte Louise. Da, sie hatte das Wort ausgesprochen, das sie vermeiden wollte.
    »Entführt?«
    »Na ja, es gibt keinen Beweis, dass Joanna Hunter am Leben und wohlauf und frei ist, oder?«, sagte Louise.
    »›Ein Lebenszeichen‹, so heißt es doch in Entführungsfällen, oder?«
    »So heißt es in Filmen. Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht bin ich einfach nur verbohrt. Ich will sicher sein. Ich hätte gesagt, dass sie nicht der Typ ist, die davonläuft und sich versteckt. Aber genau das hat sie einmal getan.«
    »Ich wollte Sie nicht kritisieren, Boss. Hab nur gefragt.«
    Louise konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal zugegeben hatte, verbohrt zu sein.
    Marcus erhielt einen Anruf wegen Reggies Nissan. »Zugelassen auf eine Firma in Glasgow, eine Art Limousinenservice für Hochzeiten und so, obwohl man sich nur schwer vorstellen kann, dass eine frische Braut aus einem Pathfinder steigt.«
    »Alle Wege führen nach Glasgow«, sagte Louise.
    »Wer war der Typ, der nicht Decker war, Boss? Im Krankenhaus?«
    »Niemand. Er war niemand. Irgendein Mann.«
     
    »Er hat sich selbst entlassen? Wie? Warum?« Als sie erneut ins Krankenhaus gegangen war und das leere Bett gesehen hatte, dachte sie sofort, dass er im Leichenschauhaus liegen musste, aber: »Entlassen? Sind Sie sicher?«
    »Gegen ärztlichen Rat«, sagte eine Schwester auf der Station missbilligend.
    »Seine Tochter war da«, sagte die irische Schwester. »Er ist mit ihr gegangen.«
    »Seine Tochter?« Louise erinnerte sich nicht an den Namen von Jacksons Tochter, obwohl sie sich einmal über Erziehungsprobleme ausgetauscht hatten, aber sie war – elf, zwölf? Louise wusste es nicht mehr. »Sie war allein hier?«, fragte sie.
    Die Schwester zuckte die Achseln, als wäre es ihr gleichgültig.
    Er war weg. Ohne sich von ihr zu verabschieden. Der Mistkerl.
     
    Es dauerte weniger lang, als gedacht, um mitten im Nirgendwo anzukommen. Sie brauchten nicht einmal drei Stunden. »Na also«, sagte sie zum Sat Nav.
    »Holen Sie die Kekse raus«, sagte Marcus.
    Man biege am Scotch Corner links ab, und innerhalb von Minuten war man in einer anderen Welt. Einer grünen Welt. Nicht ganz so grün wie das wassernasse Irland, wo sie in den Flitterwochen gewesen waren. Louise hatte Kerala vorgeschlagen, aber irgendwie landeten sie in Donegal. »In deinen nächsten Flitterwochen kannst du nach Kerala fliegen«, sagte Patrick. Wie sie lachten. Ha, ha, ha.
    Er sprach davon, »eines Tages nach Irland zurückzukehren«. Er meinte, wenn er pensioniert war, und so sehr sie es auch versuchte, Louise konnte sich in dieser Zukunftsvision nicht entdecken.
    Hawes war eine kleine Marktstadt, die irgendwie berühmt für Käse war, was sie erst verstand, als Marcus sagte: »Wensleydale, Boss. Sie wissen schon.« Er machte ein lächerliches Gummigesicht, grinste, dass alle Zähne zu sehen waren und sagte: »Käse, Gromit, Kääääse. Wallace und Gromit sind hier so was wie Lokalhelden.«
    »Aha«, sagte Louise. Man stelle sich nie zwischen einen Jungen und seine Zeichentrickhelden. Archie war ein fanatischer Fan einer amerikanischen Horrorcomicserie. Meine zwei Jungen, dachte Louise – hell und dunkel, Cherub und Dämon.
    Es war ein Ort, der alles hatte, was sich eine alte Tante wünschen konnte, er war groß genug für Geschäfte, Ärzte und Zahnärzte. Ein hübsches Haus mit Aussicht, »Hillview Cottage«, von dem aus man tatsächlich in die Hügel blickte. Es war eher ein Bungalow aus den fünfziger Jahren als eine malerische Wohnstatt mit Rosen vor der Tür, stand am Rand von Hawes und überblickte Stadt und Land. Das Beste von zwei Welten, stellte sie sich vor, hatte Oliver Barker zu seiner Frau gesagt, als sie sich hier niederließen. Louise fragte sich, ob sie sich Sorgen machen sollte, weil der gesamte Mason-Clan, der reale und der fiktive, sein Lager in ihrem Hirn aufgeschlagen hatte.
    Louise war Städterin, sie zog das markerschütternde Heulen einer Sirene, die die Nacht durchschnitt, dem ländlichen Zwitschern der Vögel in der Morgendämmerung vor. Kneipenschlägereien, lärmende Straßenbauarbeiten, ausgeraubte Touristen, das Ödland einer Samstagnacht, all das ergab einen Sinn, war Bestandteil des riesigen, schmutzigen, zerrissenen sozialen Geflechts. In der Stadt

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