Lebenslügen / Roman
wütete ein Krieg, und sie kämpfte mit, aber das Land beunruhigte sie, weil sie nicht wusste, wer der Feind war. Sie hatte North and South immer der Sturmhöhe vorgezogen. Das viele wahnsinnige Rennen über die Moore, das Identifizieren mit der Landschaft waren keine guten Rollenbilder für eine Frau.
Sollte man ihr die Pistole auf die Brust setzen und sie zu einer Entscheidung zwingen, wo sie begraben werden wollte – in Irland oder Hawes –, würde sich Louise vermutlich für Hawes entscheiden. Das letzte Mal, als sie länger mit Jackson gesprochen hatte, besaß er ein Haus in Frankreich. Das klang wesentlich besser als Yorkshire oder Irland, aber sie vermutete, dass sie »Jackson« mehr als »Frankreich« angezogen hatte, da das ländliche Frankreich wahrscheinlich mit einem Gutteil zwitschernder Vögel und geisttötender Ruhe aufwarten konnte. Sie war nie dort gewesen, eigentlich war sie noch nirgendwo gewesen. Ganz bestimmt nicht in Kerala. Patrick hatte für den nächsten April »ein verlängertes Wochenende« in Paris vorgeschlagen, und sie war zurückgeschreckt, weil sie Paris insgeheim für Jackson aufsparte, was absolut lächerlich war. Sie befand sich jetzt in seiner Grafschaft, aber die Dales waren nicht die Trostlosigkeit und der Dreck, die sein Wesen ausmachten. Sie sollte aufhören, an ihn zu denken. Diese Art Obsession endete damit, dass man auf dem Totenbett Federn aus Kissen zupfte.
Marcus parkte ein paar Häuser von »Hillview« entfernt. Keine Autos auf der Straße, keine Autos in der Einfahrt. Kein Lebenszeichen. Nichts.
»Sie dürfen die Honneurs machen«, sagte Louise zu Marcus, als sie ausstiegen, und er trat vor und klopfte an die Tür.
»Sehr professionell«, sagte Louise. »Sie sollten zur Polizei gehen.«
Ein großer, höchst unattraktiver Mann in einem weißen ärmellosen Unterhemd, wie sie Männer trugen, die ihre Frauen verprügelten, öffnete die Tür und starrte sie unfreundlich an. Sie hörte den Kommentar zu einem Autorennen aus dem Fernseher irgendwo im Hintergrund. In der einen Hand hielt er eine Dose Bier, in der anderen eine Zigarette. Er war ein ausgezeichnetes Klischee, und Louise hätte ihn gern zu seinem nahezu ikonenhaften Status beglückwünscht.
»Guten Tag«, sagte Marcus freundlich. »Vielleicht können Sie uns weiterhelfen.« Er klang wie ein Evangelist, der an der Tür gute Neuigkeiten und Bibeln verkaufte.
»Unwahrscheinlich«, sagte das fehlende Bindeglied zwischen Affen und Menschen. Louise wusste nicht, ob er nur dummdreist oder nur englisch war. Wahrscheinlich beides. Ihr Polizeiausweis juckte in ihrer Tasche, aber sie waren in Zivil und nicht offiziell unterwegs.
»Ich suche eine Mrs. Agnes Barker«, fuhr Marcus freundlich fort.
»Wen?« Der Mann runzelte die Stirn, als spräche Marcus in Zungen.
»Agnes Barker«, wiederholte er langsam. »Dies ist die Adresse, die wir von ihr haben.«
»Da täuschen Sie sich.«
Louise konnte nicht anders. Sie zückte ihren Ausweis, hielt ihn vor sein hässliches Gesicht und sagte: »Sollen wir’s noch mal versuchen? Von Anfang an – wir suchen nach einer Mrs. Agnes Barker.«
»Ich weiß nichts«, sagte er trotzig. »Ich habe das Haus gemietet. Ich gebe Ihnen die Telefonnummer.«
»Danke.«
Das Mädchen, das sich im Maklerbüro meldete und wie eine Zwölfjährige klang, erklärte bereitwillig, dass sie im Auftrag von Mrs. Barkers Anwalt vermieteten, ohne das Louise sagen musste, wer sie war. »Er hat eine Vollmacht«, sagte sie, was Louise so interpretierte, dass die Tante gaga war.
»Ist Mrs. Barker pflegebedürftig?«
»Sie ist in Fernlea. Das ist ein Pflegeheim.«
»Sie existiert also doch«, sagte Marcus.
Louises Handy klingelte, als Marcus das Sat Nav neu programmierte. Abbie Nash sagte: »Boss? Wir haben was wegen der Autovermietungen, oder wir haben vielmehr nichts. Wir haben alle Autovermietungen in Edinburgh angerufen. Keine hat Joanna Hunter ein Auto vermietet.«
»Vielleicht hat sie ihren Namen auf dem Führerschein nicht geändert, als sie geheiratet hat.«
»Mason?«, sagte Abbie. »Damit haben wir’s auch versucht. Nichts. Aber da wir schon beim Telefonieren waren, habe ich auch Deckers Namen überprüfen lassen, nur für den Fall, Sie wissen schon, und – bingo. Decker hat heute Morgen einen Citroën Espace gemietet. Und das ist das Interessante daran – seine Tochter war dabei.«
»Er hat keine Tochter.«
»Deswegen ist es ja interessant.«
»Der Plot verdichtet
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