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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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sie mir gegeben. Sie sind ruiniert, sie mussten sie Ihnen vom Körper schneiden, und außerdem sind sie voller Blut. Ich habe sie in einen schwarzen Plastiksack getan, Sie werden sie wahrscheinlich wegwerfen wollen.«
    »Warum haben sie dir meine Sachen gegeben?«, wunderte sich Jackson, als sie innehielt, um Luft zu holen.
    »Ich habe gesagt, dass ich Ihre Tochter bin.«
    »Meine Tochter?«
    »Es tut mit leid.«
    »Und du tust das, weil du für mich verantwortlich bist?«
    »Na ja, eigentlich …«, sagte Reggie, »beruht das auf Gegenseitigkeit.«
    »Ich wusste, dass die Sache einen Haken hat«, sagte Jackson. Es gab immer einen Haken. Seit sich Adam an Eva wandte (oder wahrscheinlicher umgekehrt) und sagte: »Ach, übrigens, ich habe mich gefragt, ob …«
    Sie hatte einen frischen blauen Fleck, diesmal auf der Wange. Was tat sie, wenn sie ihn nicht gerade besuchte? Machte sie Karate?
    »Sie waren doch Privatdetektiv, oder?«, sagte sie.
    »Unter anderem.«
    »Sie haben also Leute gesucht?«
    »Manchmal. Ich habe auch Leute verloren.«
    »Ich möchte Sie anheuern.«
    »Nein.«
    »Bitte.«
    »Nein. Ich mache das nicht mehr.«
    »Ich brauche wirklich Ihre Hilfe, Mr. Brodie.«
    Nein, dachte Jackson, bitte mich nicht um Hilfe. Leute, die ihn um Hilfe baten, führten ihn immer auf Wege, die er nicht gehen wollte. Wege, die in die Stadt namens Ärger führten.
    »Und Dr. Hunter auch«, fuhr sie erbarmungslos fort. »Und ihr Baby.«
    »Du änderst ständig die Regeln«, sagte er. »Zuerst hieß es, ›du rettest mich, ich rette dich‹. Und jetzt soll ich Leute retten, die mir völlig fremd sind?«
    »Für mich sind sie keine Fremden. Ich glaube, sie wurden entführt.«
    »Entführt?« Jetzt wurde sie wirklich extrem.
    Er wusste, was sie sagen würde. Sag’s nicht. Sag nicht die magischen Worte.
    »Sie brauchen Ihre Hilfe.«
    »Nein. Auf keinen Fall.«
     
    »Wir sollten bei der Tante anfangen.«
    »Welcher Tante?«

[home]
V
Und dann wieder
morgen

Die verlorene Ehefrau
    L aut Sat Nav waren es zweihundertachtundfünfzig Kilometer nach Hawes, für die sie drei Stunden und dreiundzwanzig Minuten brauchen sollten. »Mal sehen«, sagte Louise, als sie den Motor anließ. Marcus, der auf dem Beifahrersitz saß, salutierte und sagte: »Und los geht’s.« Unschuldig. Er war gut aussehend, glänzend und neu, wie frisch aus der Larve geschlüpft. Archie würde in Marcus’ Alter nicht so aussehen. Technisch war sie alt genug, um Marcus’ Mutter zu sein. Wenn sie ein sorgloses Schulmädchen gewesen wäre.
    Sie war nicht sorglos gewesen, mit vierzehn nahm sie die Pille. Während ihrer Jugend hatte sie nur Sex mit älteren Männern, seinerzeit war ihr nicht klar gewesen, wie pervers sie gewesen sein mussten. Damals schmeichelten ihr ihre Aufmerksamkeiten, jetzt würde sie sie allesamt verhaften.
    Als sie mit Patrick während der Kennenlernphase die kleinen Intimitäten des Lebens austauschte – Lieblingsfilme und -bücher, Haustiere (»Paddy« und »Bridie«, unnötig zu erwähnen, hatten eine ganze Kindheitsmenagerie an Hamstern, Meerschweinchen, Hunden, Katzen, Schildkröten und Hasen besessen), wo sie Ferien gemacht hatten (in Louises Fall so gut wie nirgendwo), wie sie ihre Unschuld verloren hatten und mit wem –, erzählte er ihr, dass er Samantha während der ersten Woche am Trinity College kennengelernt hatte. »Und das war’s dann.« – »Aber davor?«, fragte sie, und er zuckte die Achseln und sagte: »Nur ein, zwei Mädchen aus unserem Ort. Nette Mädchen.« Drei. Drei Sexualpartnerinnen, bis er Witwer wurde (alle nett). Nach Samantha hatte er ein paar Freundinnen, aber nichts Ernstes, nichts Unschickliches. »Und du?«, fragte er. Er hatte keine Ahnung, wie sexuell inkontinent Louise in ihrem Leben gewesen war, und von ihr würde er es nicht erfahren. »Ach«, sagte sie und stieß die Luft aus. »Eine Handvoll Männer – wenn überhaupt – ziemlich lange Beziehungen. Mit achtzehn habe ich zum ersten Mal mit dem Jungen geschlafen, mit dem ich schon zwei Jahre zusammen war.«
    Lügen, lügen und betrügen. Louise war eine sehr gute Lügnerin, des Öfteren dachte sie, dass sie in einem anderen Leben eine ausgezeichnete Hochstaplerin abgegeben hätte. Wer weiß, vielleicht sogar noch in diesem Leben, es war schließlich noch nicht zu spät.
    Sie hätte die Wahrheit sagen sollen. Sie hätte über alles die Wahrheit sagen sollen. Sie hätte sagen sollen: »Ich habe keine Ahnung, wie man einen anderen Menschen

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