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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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sich«, sagte Marcus zufrieden, nachdem Louise diese Informationen an ihn weitergegeben hatte.
     
    Fernlea war alles, was Louise fürchtete. Die Stühle mit den hohen Rückenlehnen, die im Aufenthaltsraum vor dem Fernseher standen, der Geruch nach Großküche, der den schwachen, aber aufdringlichen Geruch nach desinfiziertem Toilettenpapier überlagerte. Es spielte keine Rolle, dass an einer Pinnwand Aktivitäten für die Bewohner (Teppichboccia) und Ausflüge (Harlow Carr Gardens, Harrogate mit Mittagessen bei Betty!) angekündigt wurden, es blieb ein Ort für Menschen, die niemand wollte. Ein Ort zum Sterben. Archie würde sie in so ein Heim schicken, wenn sie zahnlos und glatzköpfig und inkontinent wäre und den Namen ihres Sohnes vergessen hätte. Sie würde es ihm nicht übelnehmen. Patrick könnte sie nicht pflegen, er war ein Mann, statistisch gesehen, würde er vor ihr sterben trotz des Golfs, des Rotweins und des Schwimmens.
    Sie käme nicht hierher. Sie würde lieber aus ihrem Leben treten, in eine kalte, kalte Nacht hinausgehen (Ich bin dann mal weg), sich unter eine Hecke legen und einschlafen, statt sich in ein Pflegeheim einweisen zu lassen. Oder sich die Pulsadern aufschneiden und warten, gefasst wie eine Römerin. Oder sich eine Pistole besorgen – nichts einfacher als das –, sich den Lauf in den Mund stecken, als wäre er eine Lakritzstange, und sich das Gehirn auf der Rückseite des Kopfes herausblasen. Ein Teil von ihr freute sich nahezu darauf. Es sprach einiges dafür zu sterben, bevor man in Windeln endete und endlose Wiederholungen von Friends sah. Gabrielle Mason, Patricks Samantha, Alison Needlers Schwester Debbie. Aufbewahrt im Bernsteinzimmer der Erinnerung, für immer jung. Für immer tot.
    Am Empfang zeigte Louise ihren Ausweis, lächelte ihr höflichstes Lächeln und sagte »Ich muss kurz mit Mrs. Barker sprechen« zu einem dicken Mädchen in einer rosaweißkarierten Uniform, die ihr zu eng war und mehrere Speckrollen enthüllte, die gern entkommen wären. Wurst mit Haut. »Hayley« stand auf ihrem Namensschild aus Plastik. Hayleys dünnes blondes Haar war mit einem Haargummi zusammengefasst, ihr Mondgesicht erbarmungslos entblößt. Sie warf Marcus, der sie höflich ignorierte, einen Blick von der Seite zu.
    Das Mädchen holte unter Mühen einen Schokoladeriegel aus der Tasche ihrer Uniform. Sie wickelte ihn aus und bot Louise ein Stück an. Der Riegel war flachgedrückt und etwas geschmolzen, und Louise winkte ab, obwohl sie gern etwas genommen hätte. Marcus nahm ein Stück, und das Mädchen wurde rot. Sie erinnerte Louise an ein Schwein aus Zucker. Sie hatte Zuckerschweine früher gern gegessen. »Meinen Sie, dass sie in der Lage ist, mit uns zu reden?«
    »Das bezweifle ich«, sagte das Mädchen.
    »Weil sie dement ist?«
    »Weil sie tot ist.«
    Ja, dachte Louise. Wenn man tot war, brachte man den Mund wirklich nicht mehr auf. Alte Tante geht rechts von der Bühne ab.
    »Vor kurzem?«, fragte Marcus.
    »Vor zwei Wochen. Ein massiver Schlaganfall«, sagte das Mädchen und steckte sich das letzte Stück Schokolade in den Mund.
    »Jemand sollte es ihrem Anwalt sagen«, sagte Louise, mehr zu sich selbst als zu dem Mädchen. Und Neil Hunter. »Hatte sie Familie?«
    »Ich glaube, es gab einen Neffen oder eine Nichte, aber sie waren, Sie wissen schon, wie heißt das? So ähnlich wie verfremdet.«
    »Entfremdet?«
    »Ja, so heißt es. Entfremdet.«
     
    »Sie existiert nicht. Die Tante ist nicht mehr«, sagte Marcus zu Louise, als sie Fernleas unheilige Hallen verließen. »Die Tante gibt es nicht mehr, sie ist eine Extante. Wenn der Plot noch dichter wird, wäre er solide, was, Boss?«
    »Sie fahren, Pfadfinder«, sagte Louise großzügig. Allmählich wurde ihr von den Kopfschmerzen schlecht.
    »Und jetzt, Boss?«
    »Ich habe keinen blassen Schimmer. Wir könnten Käse kaufen. Nein, warten Sie, rufen Sie an und lassen Sie herausfinden, wer Decker während des letzten Jahrs im Gefängnis besucht hat. Er verschwindet bei einem Zugunglück und mietet mit einer sogenannten Tochter ein verdammtes Auto. Finden Sie heraus, wer die Tochter wirklich ist. Jemand muss ihm helfen.«
    »Außer er hat das Mädchen gerade erst aufgegabelt. Außer sie ist gegen ihren Willen bei ihm.«
    »O Gott«, sagte Louise. »Hören Sie auf.«
    »Meinen Sie, dass Decker irgendwas mit der Tante zu tun hat?«, rätselte Marcus.
    »Ich weiß nicht mehr, wer was mit wem zu tun hat.«
    Die Tante war nicht mehr, das

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