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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Hund.
    Reggie schien eine überhitzte Phantasie zu haben. Diese Dr. Hunter nahm sich wahrscheinlich nur eine Auszeit von ihrem Leben.
    Jackson gehörte nicht zu denen, die eine verschwundene Frau ignorierten, aber manche wollten wirklich nicht gefunden werden. Sowohl bei der Polizei als auch als Privatdetektiv war er beauftragt worden, ein paar von ihnen aufzuspüren. Einmal hatte er beim Militär das Verschwinden einer Offiziersfrau aufgeklärt, ihre Spur bis nach Hamburg verfolgt und sie in einer Lesbenbar gefunden, in der alle Frauen gekleidet waren wie Komparsen in Cabaret. Man sah ihr an, dass sie nicht vorhatte, demnächst wieder zu ihrem Mann in die Kaserne von Rheindahlen zurückzukehren.
    Dennoch, es würde sein Gewissen belasten, wenn er sich nicht überzeugte, und er hatte bereits genug Frauen auf dem Gewissen.
    Sie waren zu Reggies Bank gegangen und hatten ihr Geld abgehoben. Sie hatten eine Vereinbarung. Reggie überließ ihm die Ersparnisse ihres Lebens, und er gab sie aus. So schien es jedenfalls. Sie kauften Sandwichs, Saft, ein Ladegerät für ihr Handy und einen Straßenatlas. Er traute sich nicht länger zu, ohne Karte durch das Bermudadreieck Wensleydale zu manövrieren.
    »Du bekommst dein Geld wirklich zurück«, sagte er, als sie ihr Konto an einem Bankomaten in der George Street leerte. »Ich bin reich«, sagte er noch, etwas, was er normalerweise nicht so leicht eingestand.
    »Ja, genau«, sagte sie, »und ich bin die Königin von Wasimmer.«
    »Saba?«
    »Auch.«
     
     
    Der einzige, mit einer Hand zu fahrende Wagen, den der Autoverleih für Jackson in Edinburgh auftreiben konnte – ein Automatik mit der Handbremse am Lenkrad –, war ein riesiger Citroën Espace, in dem man zur Not hätte wohnen können. Espace – Platz. Jede Menge. »Brauchen Sie Kindersitze?«, fragte die Frau mittleren Alters in der Autovermietung. »Joy« stand auf ihrem Namensschild, es klang wie eine New-Age-Botschaft. »Es ist ein Familienwagen«, sagte sie tadelnd, als wäre es ihnen misslungen, ihre Kriterien für eine Familie zu erfüllen. Selten war einer Frau bei der Geburt ein so falscher Namen gegeben worden, dachte Jackson.
    »Wir sind eine Familie«, sagte Reggie. Der Hund wedelte erfreut mit dem Schwanz. Jackson spürte einen Stich, der sich wie Verlust anfühlte. Ein Familienmensch ohne Familie. Tessa war ambivalent, was Kinder betraf. »Wenn es passiert, passiert es«, sagte sie, obwohl sie die Pille nahm und nicht so unbekümmert war, wie sie vorgab zu sein. Er hatte das Thema nicht wirklich angesprochen, es schien zu persönlich zu sein. Sie mochten verheiratet sein, aber sie kannten sich kaum.
    Wäre er Joy gewesen, hätte er den Autoschlüssel auch nur widerwillig jemandem überreicht, der aussah, als wäre er gerade aus dem Gefängnis oder dem Krankenhaus oder beidem entlassen worden. »Absolut gegen meinen Rat«, sagte Harry Potter, als er ging. »Das geht auf Ihre Kappe«, sagte Dr. Foster. »Sie sind ein verdammter Idiot, Kumpel«, sagte der australische Mike und lachte.
    Dank der Prellungen und Klammern an seiner Stirn sah Jackson mehr nach einem Verbrecher als nach einem Opfer aus, und der Arm in der Schlinge disqualifizierte ihn natürlich in den Augen jeder geistig gesunden Person als Autofahrer, deswegen hatte Reggie sie abgenommen und die blauen Flecken in seinem Gesicht mit ihrem Rimmel-Make-up betupft. »Weil Sie aussehen wie jemand auf der Flucht oder so«. Im Allgemeinen kam Jackson sich immer vor, als wäre er auf der Flucht (oder so), aber das sagte er Reggie nicht.
    Unter nonchalanter Missachtung des Gesetzes benutzte er Andrew Deckers Führerschein, den Reggie mit großer Geste hervorgezogen hatte. (»Er war bei Ihren Sachen.«) Leider erwies sich die Tatsache, dass er keinerlei anderen Identitätsbeweis hatte, als kleiner Stolperstein bei Joy, die über den Mangel an Existenznachweisen unzufrieden die Stirn runzelte.
    »Sie könnten jeder sein«, sagte sie.
    »Also, nicht jeder«, murmelte Jackson und sah von weiterem Widerspruch ab.
    Er hätte natürlich mit dem Zug fahren können, nur dass er es nicht konnte. Er war bis zum Fahrkartenschalter in der Waverly Station gekommen (Reggie an seiner Seite wie eine kleine Klette), als ihm das Adrenalin ins Blut schoss. Die Sofort-wieder-aufs-Pferd-steigen-Theorie war schön und gut, solange es nur eine Theorie (oder ein Pferd) war, aber wenn es sich um ein nicht theoretisches, brutales eisernes Pferd in Form des Inter City 125

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