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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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ganz, er litt nicht unter den Schmerzen und der Traurigkeit der Welt, er lebte einfach sein Leben. Sie war eine Schale, die alles in sich behielt, er war Mars, der seinen Speer in die Welt warf. Sie musste sich nicht um ihn kümmern, sie musste sich keine Sorgen um ihn machen. Das bedeutete zwangsläufig, dass es in ihrer Beziehung Rückschläge gab, aber wer war schon vollkommen? Nur das Baby.
    Die dreißig Jahre seit den Morden hatte sie damit verbracht, sich ein Leben zu erschaffen. Es war kein wirkliches Leben, es war das Simulakrum eines Lebens, aber es funktionierte. Ihr wirkliches Leben war in dem anderen, goldenen Feld zurückgeblieben. Und dann bekam sie das Baby, und ihre Liebe zu ihm hauchte dem Simulakrum Leben ein, und das Leben wurde echt. Ihre Liebe zu dem Baby war immens, größer als das gesamte Universum. Wild.
     
    »Der Typ, für den wir arbeiten«, sagte Peter, »will, dass Ihr Mann uns seine Geschäfte überschreibt. Sie sind der Preis. Er hat alle Papiere für ihn vorbereitet, sauber und legal, er muss nur noch unterschreiben.«
    Sie hielt es für absurd und sagte, »Aber das ist Nötigung, vor Gericht hätte es keine Geltung«, und er lachte und sagte: »Das hier ist nicht Ihre Welt, Doktor.« Sie hoffte, das sei der Beginn eines längeren Gesprächs, doch er verlor das Interesse und deutete auf Stift und Papier und sagte: »Also schreiben Sie.« Sie fragte sich, ob Neil wusste, mit welchen Leuten er es zu tun hatte, und entschied, dass er es wahrscheinlich wusste.
    »Und wenn er es nicht tut?«, sagte sie. »Wenn er Ihrem Boss nicht alles übereignet, was passiert dann mit uns?«, aber er starrte sie nur an, als wäre sie nicht da.
    Sie schrieb: »Sie werden uns umbringen, wenn Du nicht tust, was sie sagen.«
     
    Irgendwann früh am Samstag weckte John sie und gab ihr wieder Papier und Kugelschreiber und sagte, dass sie schreiben solle. »Irgendwas. Die Zeit wird knapp für Sie«, und dann ging er aus dem Zimmer. Sie schrieb: »Bitte, hilf uns. Wir wollen nicht sterben.« Im Gegensatz zum gängigen Vorurteil gegen Ärzte hatte sie eine ordentliche Handschrift. Sie machte Striche durch die t und Punkte auf die i und unterstrich das »Bitte«, und als John zurückkam, um den Zettel zu holen, rammte sie ihm, so fest sie konnte, den Kugelschreiber ins Auge. Sie war überrascht, wie weit er eindrang.
    Sie nahm seinen Puls. Nichts. Das Baby schlief weiter. Panik überkam sie, Peter würde bald zurückkehren. Sie musste bereit sein. Sie suchte John nach einer Waffe ab, aber er hatte keine. Peter hatte ein Messer in einer Scheide am Bein, sie hatte sie gesehen, als er sich vorbeugte, um das Essen auf den Boden zu stellen.
    Die Tür wurde geöffnet, und Peter sagte, »Was zum Teufel?«, als er sie auf dem Boden sitzen sah, Johns Oberkörper im Schoß, wie eine Pietà. Sie hatte den Stift nicht rechtzeitig aus seinem Auge ziehen können, deswegen hatte sie sein Gesicht sich zugewandt und schirmte es mit der Hand ab. »Ihm ist etwas passiert«, sagte sie und sah zu Peter. »Ich weiß nicht, was, ich denke, dass er vielleicht nur ohnmächtig geworden ist, aber ich bin nicht sicher …« Sie versuchte, professionell zu klingen, wie eine Ärztin.
    Peter ging in die Hocke und drehte Johns Gesicht zu sich, währenddessen stand sie auf, rollte John von ihrem Schoß auf den Boden und schlug mit der Handkante so fest wie möglich gegen Peters Luftröhre. Er fiel nach hinten, hielt sich den Hals, seine Augen traten aus den Höhlen, sie sprang nach vorn, zog das Messer aus der Scheide und schnitt das Seil um ihren Knöchel durch.
    Sie kniete sich neben ihn und beobachtete ihn. Er konnte nur mit Mühe atmen, aber er war noch nicht erledigt. Sie spürte, dass sie selbst Atemnot hatte, ihre Luftröhre zusammengeschnürt war und pfiff. Sie war schweißgebadet, obwohl es so kalt war im Zimmer.
    Sie ließ ihn das Messer nicht sehen, nichtsdestotrotz wand er sich und versuchte, von ihr fortzukommen. »Schsch«, sagte sie, legte ihm die Hand auf den Arm und so, dass er es nicht sehen konnte, stach sie ihm in die linke Halsschlagader. Und zur Sicherheit stach sie ihm dann auch noch in die rechte, und das Blut spitzte heraus, als wäre sie auf Öl gestoßen.
    Das Baby erwachte und lachte, als es sie sah, und sie sagte: »Eine kleine Dickmadam zog sich eine Hose an. Die Hose krachte, Dickmadam, die lachte.«

Ein sauberer, gutbeleuchteter Ort
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