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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Hunters Adresse.
    Sie war einmal gefunden worden, sie würde wieder gefunden werden. Sie war nicht mehr Joanna Hunter. Sie war keine Ärztin oder Ehefrau mehr, sie war nicht mehr Reggies Arbeitgeberin (»und Freundin«), sie war nicht mehr die Frau, um die Louise sich sorgte. Sie war ein kleines Mädchen draußen in der Dunkelheit, schmutzig und voller Flecken vom Blut seiner Mutter. Sie war ein kleines Mädchen, das mitten in einem Weizenfeld nichts ahnend fest schlief, während Männer und Hunde auf sie zuströmten, ihr Weg von Taschenlampen und Mondlicht erhellt.
    Später, als er Polizist war, nahm er nie an einer Suche teil, die über den Einbruch der Dunkelheit hinaus fortgesetzt wurde. Jetzt war ihm klar, dass in jener warmen Sommernacht in Devon alle – Soldaten, Polizisten, Privatpersonen – die unausgesprochene Vereinbarung getroffen haben mussten, in der Dunkelheit weiter nach Joanna Mason zu suchen, so groß war ihre Verzweiflung.
    Er deckte Reggie mit der zerschlissenen Häkeldecke zu, die über der Sofalehne hing. Es überraschte ihn, dass er väterliche Gefühle für sie hegte, er hatte geglaubt, dass er so nur für die Seinen empfinden würde. Er winkte dem Hund zum Abschied, schaltete das Licht aus und ging auf Zehenspitzen den Flur entlang zur Haustür.
    Er hatte die Hand auf dem Riegel, als eine Stimme sagte: »Ich hoffe, Sie wollen nirgendwo ohne mich hin.« Eine kleine beharrliche Stimme.
    »Nie im Leben«, sagte Jackson.
     
    Auf der Einfahrt vor dem Haus der Hunters stand ein Nissan Pathfinder hinter Neil Hunters Range Rover.
    »Den habe ich schon einmal gesehen«, sagte Reggie. »Die Typen, die mit Mr. Hunter ins Haus gekommen sind und ihn bedroht haben, sind damit gefahren.«
    »Und sie sind wieder da.«
    »Wir sollten ihnen folgen«, sagte Reggie. »Wenn sie gehen. Falls sie gehen.«
    »Zu Fuß?«, sagte Jackson. »Das wird nicht klappen.« Sie waren mit einem Taxi von Musselburgh gekommen und hatten sich am Ende der Straße absetzen lassen. Die Gegend war verlassen, kein Licht, keine Katze.
    »Na ja«, sagte Reggie, »wir können Dr. Hunters Wagen nehmen. Er steht in der Garage.«
     
    Jackson fragte sich, ob man einen Prius kurzschließen konnte. Moderne Autotechnologie war der Tod der praktischen kriminellen Methoden, Autos anzulassen.
    »Der Ersatzschlüssel ist in der Garage«, sagte Reggie. »Auf dem Regal, hinter einer alten Farbdose. Umwölkte Perle.«
    »Was?«
    »Umwölkte Perle, so heißt die Farbe. Dr. Hunter sagt, da würde niemand suchen. Ich hole ihn.«
     
    Er hielt Abstand. Es war eine Weile her, seit er jemanden in einem Auto verfolgt hatte. Zuerst waren es Kriminelle gewesen, dann fremdgehende Eheleute. Jetzt waren es große Männer in schlechten Autos. Oder umgekehrt. Nur Sekunden bevor zwei Männer lauthals das Haus verließen und in den Nissan stiegen, waren sie über den Rasen in die Garage geschlichen. Jackson war eigentlich mit der Absicht gekommen, Hunter in die Mangel zu nehmen, aber er schätzte, dass es interessant sein könnte, dem Nissan zu folgen, auch wenn er sie nicht zu Dr. Hunter führte. Louise hatte auf dem Parkplatz der Tankstelle drei Theorien vorgeschlagen – Rache, Mord, Entführung. Er hielt sich an Entführung. Er hätte sie küssen sollen. Er hatte sich zurückgehalten, weil sie beide verheiratet waren, aber vielleicht war das nur eine Ausrede, vielleicht war er nur ein Feigling. Außerdem hätte sie ihm wahrscheinlich eine übergezogen, wenn er es versucht hätte.
    Um fahren zu können, nahm er den Arm aus der Schlinge. Adrenalin hielt die Schmerzen in Schach, ja, er fühlte sich bemerkenswert energiegeladen, dank einer frischen Dosis aus dem pharmazeutischen Füllhorn des australischen Mike.
    »Fahren Sie dieses Auto bitte nicht zu Schrott«, sagte Reggie.
    Auf dem Rücksitz winselte der Hund leise. »Sie ist glücklich, weil sie wieder in Dr. Hunters Wagen ist, und gleichzeitig traurig, weil Dr. Hunter nicht dabei ist.«
    »Du sprichst die Hundesprache?«
    »Ja.«
    Reggie hatte darauf bestanden, Sadie mitzunehmen. Jackson spürte, wie sich ihr Blick in seinen Hinterkopf bohrte, und er fragte sich, ob sie vorhatte, sich zu revanchieren.
    Reggie las wieder einmal die Straßenschilder. »Loanhead, Roslin, Auchendinny, Penicuik«, sagte sie.
    »Okay«, sagte Jackson. »Ich kann lesen.«
    »Es ist wie in alten Zeiten«, sagte sie.
    »Du meinst wie gestern, was noch als heute zählt, weil keiner von uns geschlafen hat.« Mit der Zeit kam

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