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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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sechs Uhr an einem Samstagmorgen, vielleicht war Neil Hunter früh aufgestanden, wahrscheinlicher war, dass er überhaupt nicht im Bett gewesen war. Durch die französischen Fenster sah sie ihn zusammengesackt und mit geschlossenen Augen auf dem Sofa sitzen. Louise klopfte ans Glas, der Geist von Miss Jessel, und Neil Hunter zuckte zusammen, einen Ausdruck des Entsetzens im Gesicht, der sich entspannte, als er sie erkannte. Er stand wacklig auf und öffnete die Tür. »Sie schon wieder«, sagte er. Er sah vollkommen ausgebrannt aus.
    »Wollen Sie mir sagen, wer Ihre Freunde sind?«, sagte sie, betrat das Zimmer, und er lachte grimmig und sagte: »Freunde? Welche Freunde? Wie sich herausstellt, habe ich keine Freunde.« Der Mann war eine wandelnde Leiche.
    »Und Ihre Frau? Was ist mit ihr passiert, Mr. Hunter? Ich glaube, Sie haben uns lange genug an der Nase herumgeführt. Sie hat nie ein Auto geliehen, um damit nach Yorkshire zu fahren, die Tante hat nicht angerufen, ja, die Tante – und das erscheint mir nicht unwichtig –, die Tante ist vor zwei Wochen gestorben. Was genau geht hier vor?«
    Neil Hunter ließ sich in einen Sessel fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Louise ging neben ihm in die Hocke und sagte leise: »Sagen Sie es mir einfach, wurde sie entführt, ja oder nein?« Er atmete hörbar ein und schwieg.
    Louise stand auf und sagte mit ihrer besten offiziellen Stimme: »Neil Hunter, ich werde Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen. Sie sind nicht verpflichtet zu antworten, aber wenn Sie etwas sagen, wird es zu Protokoll genommen und kann gegen Sie verwendet werden.«
    Er brach in Tränen aus.
     
    Louise stand auf der Treppe vor dem Haus der Hunters und atmete die kalte Morgenluft ein. Zu Zeiten wie dieser wünschte sie, sie würde rauchen, dann wäre sie nicht so versucht, über Neil Hunters Laphroaig herzufallen.
    Es war jetzt mitten am Morgen, und auf der Straße wimmelte es von Polizei. Sie dachte an Pferde, Pfeile und Stalltüren.
     
    Sie brachten Neil Hunter zur Befragung aufs Revier, doch was er bislang gesagt hatte, ergab nicht viel Sinn, die Polizei von Strathclyde hatte Anderson in seinem Luxuspenthouse einen Besuch abgestattet, aber er war von Anwälten umgeben. Niemand hatte eine Ahnung, wo sie anfangen sollten, nach Joanna Hunter zu suchen.
    Auf der M8 hatten sie den Nissan mit dem Kennzeichen, das Reggie ihnen gegeben hatte, aufgehalten, aber die beiden Männer darin schwiegen eisern.
    Louise war überzeugt, dass Joanna Hunter tot war. Das Baby auch. Sie lagen in irgendeinem Graben oder wurden an Schweine verfüttert. Hunter sagte, dass sie bereits verschwunden war, als er am Mittwochabend nach Hause kam, und eine Stunde später erhielt er einen Anruf, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er sie nie wiedersehen würde, wenn er zur Polizei ging. »Beschaffen Sie das Geld, um Anderson zu bezahlen, oder überschreiben Sie ihm alles«, sagte Neil Hunter zu Louise, bevor er aufs Revier gebracht wurde.
    »Und das war am Mittwoch?«, sagte Louise. »Und heute ist Samstag, und Sie haben ihm nicht sofort alles überschrieben?«
    »Ich habe versucht, das Geld zu beschaffen.«
    »Sie haben ihm nicht sofort alles überschrieben?«
    »Das heißt nicht, dass mir nichts an meiner Familie liegt.«
    »Sie. Haben. Ihm. Nicht. Sofort. Alles. Überschrieben.«
    »Sie verstehen das nicht.«
    »Ich verstehe es sehr gut – Sie haben ihm nicht sofort alles überschrieben. Die Verträge hätten vor Gericht nicht standgehalten. Sie hätten alles behalten und hätten eine Chance gehabt, Ihre Frau und Ihr Kind zurückzubekommen.«
    »Und er hätte mir auf andere Weise das Kreuz gebrochen. Anderson ist ein Wahnsinniger, seine Handlanger sind Wahnsinnige. Wenn er sich in etwas verbissen hat, lässt er nicht mehr los. Wenn ich ihn vor Gericht gebracht hätte, hätte er uns alle umgebracht.«
     
    Ein Uniformierter kam aus dem Haus und sagte: »Boss?« Seinem Gesicht waren wichtige Neuigkeiten abzulesen, und sie dachte, das war’s, Joanna Hunter ist tot, aber dann begann der Uniformierte zu grinsen.
    »Sie werden es nicht glauben, Boss. Sie ist wieder da. Sie ist im Haus.«
    »Wer? Dr. Hunter?«
    »Dr. Hunter und das Baby. Und ein Mädchen.«
    »Ein Mädchen?«
     
    Was war das für ein Zaubertrick? Dr. Hunter saß auf dem Sofa in dem einst schönen Wohnzimmer. Sie trug eine saubere Jeans und einen weichen blauen Pullover, der aus Kaschmir sein musste. An den Ärmelsäumen befanden sich kleine Knöpfe aus

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