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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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entlassen wurde«, sagte Louise Monroe.
    Andrew Decker war fünfzig Jahre alt, und er war frei. Joseph wäre einunddreißig, Jessica achtunddreißig, ihre Mutter vierundsechzig. When I’m sixty-four. Nie. Nimmermehr, nimmermehr.
    Manchmal kam sie sich vor wie eine Spionin, wie eine Schläferin, die in einem fremden Land zurückgelassen und vergessen worden war. Sich selbst vergessen hatte. Sie spürte einen Schmerz in der Brust, ein Ziehen, heftig und heiß. Ihr Herz hämmerte. Klopf, klopf, klopf. Scholl auf einmal leis ein Pochen –
    Das Baby erwachte mit einem Quäken, und sie drückte es fest an die Brust und beruhigte es, hielt seinen Hinterkopf mit der Hand. Was man tun würde, um das eigene Kind zu beschützen, kannte keine Grenzen. Aber was, wenn man es nicht beschützen konnte, so sehr man es auch versuchte?
    Er war frei. Etwas lief leer, ein Klicken der Zeit, wie ein geheimes Signal, ein Stichwort, das vor langer Zeit in ihrem Kopf implantiert worden war. Die bösen Männer waren alle draußen, machten die Straßen unsicher. Und von nun an Dunkelheit.
    Lauf, Joanna, lauf.

[home]
IV
Und morgen

Jacksons Auferstehung
    A ls er erwachte, stand ein ungenießbar aussehendes Frühstück auf seinem Nachttisch. Er hatte von Louise geträumt, zumindest schien es ein Traum gewesen zu sein. War sie hier gewesen? Jemand war da gewesen, eine Besucherin, aber er wusste nicht, wer. Nicht das Mädchen, das Mädchen saß jedes Mal, wenn er die Augen öffnete, am Bett und betrachtete ihn.
    Im Traum hatte er sein Herz geöffnet und Louise eingelassen. Der Traum beunruhigte ihn. Tessa hatte in der Traumwelt nicht existiert, als wäre sie nie in sein Leben getreten. Das Zugunglück hatte einen Riss in seiner Welt verursacht, eine Erdbebenspalte, eine unüberbrückbare Distanz zwischen ihm und seinem Leben mit Tessa. Neue Frau, neues Leben. Er hatte ihr einen Antrag gemacht am Tag, nachdem Louise ihm gesimst hatte, dass sie heiraten würde; damals war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass die beiden Vorgänge etwas miteinander zu tun haben könnten. Aber andererseits war er nie besonders gut darin gewesen, die Anatomie seines Verhaltens zu analysieren. (Frauen dagegen hielten ihn für leicht durchschaubar.)
    Er fragte sich, ob Tessa versuchte, sich mit ihm in Verbindung zu setzen? Machte sie sich Sorgen? Sie neigte nicht dazu. Jackson schon.
    Natürlich war Tessa nicht in Northallerton in den Zug gestiegen. Sie war in Amerika, in Washington, auf irgendeiner Konferenz. »Bin am Sonntag zurück«, sagte sie, als sie aufbrach. »Ich hole dich ab«, sagte er. Er sah sie vor sich stehen am Mittwochmorgen – oder wann immer es gewesen war, er hatte jegliches Zeitgefühl verloren – in dem Schrank, den sie Küche nannte, in ihrer kleinen Wohnung in Covent Garden (ihre Wohnung, in die er gezogen war). Sie trank Tee, er trank Kaffee. Er hatte vor kurzem eine Espresso-Maschine gekauft, ein großes, glänzendes rotes Ungeheuer, das aussah, als hätte es während der industriellen Revolution eine kleine Fabrik mit Strom versorgt. Kaffeekochen war die eine Sache, die Tessa nicht konnte. »Um Himmels willen, ich wohne in Covent Garden«, sagte sie und lachte. »Ich kann keinen Stein werfen, ohne jemanden zu treffen, der mir eine Tasse Kaffee verkaufen will.«
    Die Espresso-Maschine nahm die halbe Küche ein. »Tut mir leid«, sagte Jackson, nachdem er sie aufgebaut hatte. »Mir war nicht klar, dass sie so groß ist.« Doch eigentlich meinte er, dass ihm nicht klar gewesen war, wie klein die Küche war. Sie sprachen davon, in eine größere Wohnung zu ziehen, in eine weniger urbane Gegend und hatten sich in den Chilterns umgesehen. Obwohl Jackson es kaum glauben konnte, plante er nichtsdestotrotz, in einen Londoner Vorort zu ziehen. So verwandelte einen die Liebe einer guten Frau, sie kehrte einen von innen nach außen und machte einen zu einem anderen, den man kaum wiedererkannte, als wäre man schon immer wendbar gewesen und hatte es nur nicht gewusst. Die Chilterns waren schön, sogar das Eisen in Jacksons hartem nordischem Herzen schmolz ein wenig beim Anblick von so viel geschwungener grüner Leichtigkeit. »E.-M.-Foster-Land«, sagte Tessa. Sie war unheimlich belesen, Beweis einer teuren, umfassenden Ausbildung (»St. Paul’s Mädchenschule, dann Keble College«). Jackson fragte sich, ob es zu spät für ihn war, um noch anzufangen, Romane zu lesen.
    Eine Polizistin, überhaupt nicht unscharf. »Haben Sie die Telefonnummer Ihrer

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