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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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gäbe es kein sichereres Fundament als eine beständige Paarbeziehung, für deren Funktionieren Sexualität von eher untergeordneter Bedeutung sei. Man müsse wieder besser beachten, »was Paare zusammenhält«. Sexualwissenschaftler raten zu einer ganzheitlichen Sicht von Sexualität und vor allem zu ihrer Wiedervereinigung mit der Liebe, um den Sexualfrust wieder in Sexuallust zu verwandeln. Feministinnen klagen die »Pille« als »patriarchale Männererfindung« an. Als in einer Talkshow der bekannte jüdische Sexualwissenschaftler Ernest Bornemann vergleichbare Thesen äußerte, entfuhr es dem Moderator: »Das klingt ja fast katholisch!« Antwort: »Na und?«
    Das ist nun wirklich überraschend. Eigentlich hat man sich daran gewöhnt, die katholische Kirche als Institution zur Verhinderung sexueller Freude abzubuchen. Gerade in Mitteleuropa ist es üblich geworden, die eigene sexuelle Unverwüstlichkeit und Aufgeklärtheit dadurch unter Beweis zu stellen, dass man gegen das protestiert, was der Heilige Vater in Rom angeblich so alles gegen die Sexualität hat. Ernest Bornemann war da offensichtlich nicht ganz auf der Höhe der Political Correctness. Nachdem aber die gründliche industrielle Ruinierung lebensfröhlicher Sexualität durch die sexuelle Marktwirtschaft ganze Arbeit geleistet hat und schon junge Menschen, kaum zwanzig Jahre alt, bloß noch Überdruss äußern, bekommen alternative Wege zur sexuellen Erfüllung neue Aktualität. Sehen wir näher hin:
    Die letzte Epoche der europäischen Geschichte, die noch katholisch geprägt war, war das 18. Jahrhundert. Und da gab es gerade in katholischen Gegenden auf sexuellem Gebiet eine ziemlich pralle Lebenslust, die von zumeist außerordentlich verständnisvollen Beichtvätern und Bußpredigern kaum in einigermaßen anständigen Schranken gehalten werden konnte. Die theatralische Heftigkeit mancher Predigten wurde nur noch von der Leichtlebigkeit der Menschen übertroffen. Und der Patron der Beichtväter, der heilige Alfons von Liguori, vertrat, wenn es um die Beichte sexueller Sünden ging, den ziemlich liberalen Grundsatz: Nicht nachfragen, sondern bloß warten, was kommt. Das hatte damit zu tun, dass sexuelle Sünden in der katholischen Tradition keinen Spitzenplatz einnahmen. Die acedia, die Gleichgültigkeit, und die Habsucht, eine soziale Sünde, sowie der Stolz, das rücksichtslose Feiern des eigenen Ego, standen an den ersten Stellen der Sündenregister. Außerdem war gerade eine gefährliche Gegenbewegung gegen den katholischen Mainstream aktiv, der Jansenismus. Seine Vertreter warfen der »Amtskirche« zu laxe Moral vor. Daher war schon aus kirchenpolitischen Gründen jeder Anschein von Bigotterie zu vermeiden.
    Die katholische Kirche ließ verlauten, dass der liebe Gott sich wohl nicht so viel Mühe mit der Erschaffung der Sexualität gemacht hätte, wenn das alles vom Teufel sein sollte. Gewiss, man sah in der Sexualität, gerade weil man sie kannte und schätzte – sogar als Teil eines Sakraments –, eine Lust bringende Tätigkeit, die den Menschen so sehr in seinem Kern ergriff, dass sie imstande war, ihn vom frei gewählten Wege abzubringen und zu emotionalen Katastrophen zu führen. Da gab es also auch Warnungen. Aber sexuelle Verklemmungen waren in jenen Zeiten der Katholiken Sache nicht. Das klingt überraschend, war aber schon das wissenschaftliche Ergebnis der Studien Max Webers, des den Katholiken nicht besonders wohlgesinnten Begründers der modernen Soziologie. Dass im 18. Jahrhundert freilich Fürsten oftmals Mätressen hatten, die allerdings erheblich geachteter, machtvoller und auch emanzipierter waren als heute die Geliebte eines Bankdirektors, dass Fürstenkinder aus politischen Gründen traditionell gewisse Bischofssitze übertragen bekamen, sich dadurch aber noch nicht zum Zölibat berufen fühlten und entsprechend – öffentlich – lebten, dass schließlich Giacomo Casanova Päpstlicher Protonotar war, das alles wird man aus heutiger Sicht so ohne weiteres nicht gutheißen können. Kein Kenner der Lage und insbesondere der Sittengeschichte behauptet jedenfalls, dass Katholiken zumindest bis zum 18. Jahrhundert in Sachen sexueller Lebenslust irgendetwas nachzuholen gehabt hätten.
    Das gilt in gewisser Weise für katholische Gegenden bis heute: Der französische Sinn für Erotik ist immer noch sprichwörtlich und der Latin Lover ist ebenso für seine Feinsinnigkeit renommiert wie der Karneval in Rio für die erotische

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