Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
ebenso jüdischer – Tempeldiener kam vorbei und half nicht. Und dann wurde die Geschichte Jesu richtig gefährlich. Wer nun vorbeikam, das war für Juden so ziemlich das Letzte: ein Samariter. Das waren Leute, die man normalerweise nicht mit der Kneifzange anfasste, Ungläubige sozusagen, Abgefallene, Ketzer sogar. Und ausgerechnet ein solcher Mensch, der keine Ahnung von der richtigen Religion hat, hilft. Das war eine Provokation. Und dann kam sie, die Antwort Jesu auf die Frage aller Fragen, wie man das ewige Leben erlangen könne: »Handle wie dieser Samariter da.« Das sprengte alle Vorstellungen jüdischer Rechtschaffenheit. Kurz gesagt: Nicht aufs Etikett und auf die Form, sondern auf den Inhalt kommt es an. Jude hin, Samariter her, wie christlich jemand war, das entschied sich daran, ob er den Nächsten liebte und ob er auch danach handelte.
Doch schon bald geriet diese Lehre Jesu etwas in Vergessenheit. Einige frühe Christen behaupteten, nur derjenige, der in die Geheimnisse der christlichen Glaubenslehren eingewiesen sei, sei ein wahrer Christ. Mit anderen Worten, wissen müsse man was. Gegen solchen christlichen Unsinn wurde dann noch der 1. Johannesbrief nachgeschoben. Und da heißt es in aller wünschenswerten Klarheit: »Wer liebt … kennt Gott. Wer nicht liebt (obwohl er vielleicht alle christlichen Lehren auswendig weiß) … hat Gott nicht erkannt. Denn Gott ist die Liebe.« Die unegoistische Liebe ist das Signum wirklicher christlicher Existenz. Am Ende seines Lebens wurde der heilige Augustinus gefragt, was man eigentlich tun müsse, um in den Himmel zu kommen. Er sagte es in aller Kürze: »Liebe, und im Übrigen tu, was du willst!« Na, wenn das nichts mit Lebenslust zu tun hat!
C. Lust im Leben – wie man länger Spaß am Leben hat
D amit ist allerdings immer noch die Frage unbeantwortet, »wie man länger Spaß am Leben hat«. Die Risiken und Nebenwirkungen der Gesundheit für die Lebenslust wurden ausführlich dargestellt, die Lösung einer maßvollen und nüchternen Sorge um die Gesundheit geschildert, das Christentum als moderate Gesundheitsreligion gedeutet. Aber das ändert nichts daran, dass man dennoch in seinem begrenzten Leben außerordentlich lange Zeiten nicht »seinen wesentlichen Beschäftigungen nachgehen kann«, um die gemäßigte Gesundheitsdefinition von Friedrich Nietzsche aufzugreifen.
I. Erschütternde Bilanz
Am Anfang des Lebens ist jeder Mensch behindert und rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Das ändert sich nur sehr langsam, so dass man erst vielleicht mit dem 18. Lebensjahr wirklich selbstständig »seinen wesentlichen Beschäftigungen nachgehen kann«. Ab dem 65. Lebensjahr wird man zwangsweise daran gehindert, »seinen wesentlichen Beschäftigungen« nachzugehen: Man wird berentet. Das heißt, man ist nun offiziell alt. Zwischen dem 18. und dem 65. Lebensjahr ist man statistisch etwa 6% der Zeit krank. Weit längere, hier gar nicht gerechnete Zeiträume hat man außerdem irgendwo Schmerzen, leidet körperlich, beziehungsweise – häufiger – seelisch oder man stirbt. Wenn man darüber hinaus berücksichtigt, dass Arbeit in der Regel keinen Spaß macht – sonst würde sie nicht bezahlt, sondern wäre vergnügungssteuerpflichtig –, muss man während des Arbeitslebens durchschnittlich etwa 45 von 168 Wochenstunden (einschließlich Hin- und Rückfahrt) von der möglichen Spaßzeit abziehen. Außerdem können die durchschnittlich 56 Stunden Schlaf pro Woche angesichts von allfälligen Alpträumen nicht der Spaßzeit zugeschlagen werden. Von den restlichen 67 Stunden fallen vielleicht 12 noch für ärgerliche private Erledigungen an, 7 Stunden für die Körperpflege und das Umkleiden. Bleiben etwa 48 Wochenstunden, die theoretisch für Spaß zur Verfügung stehen könnten. Davon gehen durchschnittlich etwa 20 Stunden für Fernsehen drauf, was man nach Befragen von fernsehenden Menschen zwar freiwillig tut, aber so recht Spaß macht das auch nicht. Die mit der Gesundheitspflege verbrachte Zeit rechne ich erst gar nicht ein, weil einige sich damit das gesamte Leben lang befassen. Jetzt sind wir also bei 28 spaßfähigen Stunden die Woche.
Bleiben wir dabei, so werden Sie selbst, lieber Leser, den eben aufgeführten spaßlosen Lästigkeiten persönlich noch ohne weiteres die ein oder andere hinzufügen können, so dass die 28 Stunden potienzielle Spaßzeit sogar ziemlich wohlwollend gerechnet sind. Aber dennoch: Unter diesen Voraussetzungen
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