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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Lütz
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gut gemeinte perfekte Rundumversorgung im Heim kann die eigene Initiative so weit veröden lassen, dass der Zustand der Hilflosigkeit so erst entsteht. Daher kommt es nicht so sehr darauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird.
    Freilich besteht kein Anlass, in Kontrast zu unserer weit verbreiteten Altersfehlsichtigkeit die Sicht des Alters zu anderen Zeiten und bei anderen Völkern pauschal zu verklären. Niemand wird nämlich wieder auf den Brauch einiger Indianerstämme zurückgreifen wollen, die ihre Alten zum Sterben auf einige Bäume setzten oder dafür plädierten, die Alten beizeiten einzugraben, wie das in Sibirien vormals Usus war. Auch in der Antike und im Mittelalter gab es bisweilen einen garstigen Umgang mit alten Menschen. Hier geht es bloß um die nüchterne Feststellung, dass man das Alter auch als eine erfreuliche Ressource sehen kann, ein gesegnetes Alter, wie man früher sagte, und dass der zurzeit herrschende Jugendkult eine erfolgreiche Massenveranstaltung zur Herstellung einer unglücklichen Gesellschaft ist.
    Eines ist sicher: Wer richtig gerne alt ist, hat länger Spaß am Leben.
    6. Sterben und Tod als Würze des Lebens oder was ein pompejanisches Bordell mit dem heiligen Hieronymus verbindet
    Dass oft vor allem die alten Menschen den Gottesdienst besuchen, hat man damit zu erklären versucht, dass alte Menschen dem Tod näher sind und sich daher bemüßigt fühlen, etwas mehr für die Ewigkeit zu tun. Die Vorstellung, die einer solchen Sicht zugrunde liegt, ist wohl, dass alte Menschen sich vom eigentlichen Leben, das in der Mitte des Lebens stattzufinden hat, so weit entfernt haben, dass sie am Rande des Lebens etwas kopfscheu werden. Auf diese Weise meint man zu verstehen, warum der steinalte Ernst Jünger noch kurz vor seinem Tod katholisch wurde und warum François Mitterrand, der alte Sozialist, sich am Ende noch die katholischen Sterbesakramente geben ließ. Diese Sichtweise des Alters ist freilich ein Teil der Lebenslüge der ewig jungen Gesundheitsgesellschaft. Wer sich da zu viel mit dem Alter befasst, der steht im Verdacht, die Lust am Leben verloren zu haben und kurz vor dem Überlaufen zum Feind zu stehen. Und der Feind der Gesundheitsgesellschaft steht nicht rechts und steht nicht links, der Feind steht vorne, der Feind heißt Sterben und Tod. Das Alter hat das Pech, allzu penetrant an diese großen Spielverderber des Spiels ohne Grenzen zu erinnern, für das gewisse Leute das Leben halten. Es gibt Illustrierte und Fernsehsender, die treiben diese Todesphobie so weit, dass da alte Menschen einfach nicht mehr vorkommen.
    In Zeiten, als man verklemmt mit der Sexualität umging, entstand die Pornografie: Sex am Fließband. Mit vitaler, lustvoller, wirklicher Sexualität hat das bekanntlich nichts zu tun. Der heutige verklemmte Umgang mit dem Tod produziert eine Pornografie des Todes. Ein anständiger James-Bond-Film tut es nicht unter 300 Toten. Da sterben sie hin wie die Fliegen, die Statisten, peng, peng, peng! Doch der wirkliche Tod des Menschen, jenes existenzielle Ereignis, das der Menschheit seit Anbeginn Fragen aufgibt, kommt in einem James-Bond-Film selbstverständlich überhaupt nicht vor, noch nicht einmal andeutungsweise. So ein Krimi soll ja unterhalten. Auch bei Cocktailempfängen kann man über alles reden, sogar über seine Briefmarkensammlung, nur nicht über den Tod. Und das, obwohl nur ein verschwindender Teil der Menschen Briefmarken sammelt, aber alle ausnahmslos sterben. Der Tod steht nämlich unter strengem Tabu einer sonst angeblich tabulosen Gesellschaft. Es herrscht de facto Redeverbot.
    Zusätzlich versucht man alles, um den Tod auch irgendwie aus den Augen zu schaffen. Nicht mitten im Leben stirbt der moderne Mensch, umgeben von seinen Lieben, da, wo er gelebt hat, nämlich zu Hause. Er stirbt im Krankenhaus, im Pflegeheim, oft allein. Kindern »mutet man so etwas nicht zu«, wie es heißt, so dass viele Menschen Sterben und Tod erstmals bei sich selbst erleben. Und sogar da, so zeigen Befragungen, möchte man am liebsten nicht dabei sein. Die schlimmste Strafe für Staatsfeinde bei den Römern war die »damnatio memoriae«, die Auslöschung der Erinnerung an einen Menschen. Selbst die Namen aus den Steininschriften wurden getilgt – freilich unter Hinterlassung sehr auffälliger, hässlicher, sorgfältig ausgemeißelter Lücken. Der gigantische Versuch, die Erinnerung an den Tod auszulöschen, muss ebenso scheitern. Denn die ganze

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