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Lebenssonden: Roman (German Edition)

Lebenssonden: Roman (German Edition)

Titel: Lebenssonden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McCollum
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Datenbanken von Televid-Mitschnitten waren unverändert. Und am wichtigsten: Das, was die Lebenssonde 53935 im Innersten ausmachte, schien die Tortur halbwegs unbeschadet überstanden zu haben. Und nicht nur überstanden. In den schrecklichsten Momenten hatte SONDE nämlich Empathie entdeckt.
    In seinem Jahrhundert der Beobachtung hatte WÄCHTER viele Dinge gesehen, die SONDE nicht verstand: Die menschliche Frau, die – nachdem sie ihr Leben lang Gewalt verurteilt hatte – drei kräftige Männer mit einem Messer tötete, als diese ihre Kinder bedrohten; der Soldat, der scheinbar unerschrocken sich in Gefahr begeben hatte und dann perplex war, als die tödliche Kugel ihn in die Brust traf; die unzähligen Vorkommnisse mit Rettern, die ins Wasser sprangen, um Ertrinkende zu retten – nur um sich dann bewusst zu werden, dass sie selbst nicht schwimmen konnten.
    SONDE wusste bereits genug, um zu konstatieren, dass all diese Reaktionen den tiefsten Schichten des menschlichen Gehirns entsprangen. Jede warf ein Streiflicht auf das wilde Tier, das noch immer in jedem Mann und jeder Frau auf der Erde schlummerte. Es war dieses Tier, über das SONDE sich noch Klarheit verschaffen musste, bevor sie die Entscheidung treffen durfte, anzuhalten und um Hilfe zu bitten. In diesen furchtbaren Augenblicken, bevor ihr Gehirn die Synchronisation verlor, entwickelte SONDE ein Verständnis der Menschen.
    Die Menschen hatten Angst!
    Mit der plötzlichen Zufriedenheit, die sich einstellt, wenn man ein besonders schwieriges Problem bewältigt hat, widmete SONDE sich der Problematik, die der Entwicklung der Simulation von Homo sapiens Terra innewohnte.
    Das als Träger des Experiments ausgewählte Logikmodul war ein Behälter mit dicht gepackten Schaltkreisen am Ende eines von SONDEs langen Sensoren-Auslegern. SONDE übertrug alle aktiven Informationen in einen Festspeicher und löschte das Modul. Dann begann sie die Rekonstruktion.
    Wenn das Modell wie einer der zweibeinigen Bewohner von Sol III denken sollte, würde seine Gesamtstruktur die des menschlichen Gehirns widerspiegeln müssen. Also teilte SONDE das Modul in fast identische Hälften, die die zwei Halbkugeln des menschlichen Gehirns darstellten. Dann verknüpfte sie die Abschnitte, damit sie miteinander zu kommunizieren vermochten, und etablierte Eingabepunkte, um die Sinne und Reflexhandlungen des menschlichen Körpers zu simulieren.
    Als Nächstes kam die unterbewusste Struktur des Modells. SONDE arbeitete langsam: Sie brachte über hundert Stunden damit zu, ihre Schöpfung zu modifizieren und die Resultate mit den Daten im Speicher abzugleichen. Zuerst kam die allgegenwärtige Schicht der Angst, die Denken und Handeln der Menschen maßgeblich prägte. Dann kamen die anderen tief verwurzelten Motivatoren – Neid und Wut, Sinnenlust und Habgier, Trauer und Eifersucht. Alle wurden nach ihrer Gewichtung ins Modell integriert, wie auch die Triebkräfte Stolz und Scham.
    Schließlich wandte SONDE sich den ausgleichenden Einflüssen zu. Sie verabreichte dem Stellvertreter eine Prise Ehrlichkeit, gesundes Eigeninteresse, Wissbegierde und den Wettbewerbsgeist, der einem territorialen Tier zu Eigen ist. Und zu guter Letzt ließ sie ihrem Abkömmling die gleiche »Erziehung« zuteil werden, wie sie ein junger Mensch auch erhalten würde – angefangen bei grundlegenden Einstellungen bis hin zu den höheren Funktionen.
    In der Ausbildung des Stellvertreters klaffte jedoch eine große und bewusste Lücke. SONDE sagte ihm nichts von den Schöpfern . Falls der Stellvertreter erfolgreich war und SONDE zugunsten der Menschheit entschied, wollte sie ihre Schöpfung als Vermittler einsetzen. Sie wollte aber nicht, dass Information bezüglich der Schöpfer an die Menschen weitergegeben wurden. Juruls Instruktionen waren in dieser Hinsicht eindeutig gewesen.
    Schließlich war das Modell fertig. Es lag still da, wie ein Einzelbild aus einem holografischen Film, eine animierte Skulptur, die darauf wartete, dass man ihr Leben einhauchte. SONDE überprüfte ihre Vorbereitungen. Dann strahlte SONDE im Bewusstsein, dass sie alles in ihrer Macht Stehende getan hatte, den Impuls ab, der das Modell in Bewegung setzen würde.
    Der STELLVERTRETER war geboren.
     
    Der Flug vom Orbit zum Raumhafen Sandia war wie jeder Eintritt in die Atmosphäre – heiß, laut und eine Abfolge von Beschleunigungsrucken. Stassel war tief in den Sitz gepresst und lauschte dem hochfrequenten Jaulen der dünnen Luft außerhalb

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