Lebenssonden: Roman (German Edition)
verbracht. Brea hatte ihm von ihrem früheren Leben in Kanada erzählt, von ihrer Ausbildung, wie aufgeregt sie gewesen war, als sie die Stelle in der Ceres-Sternwarte antrat, und von ihrer Ehe. Schließlich hatte sie nach langem Zögern auch von ihrer allzu frühen Witwenschaft und den psychischen Nachwirkungen gesprochen. Um die düstere Stimmung wieder etwas aufzuhellen, hatte er ihr dann von seiner Jugend im idyllischen Schwarzwald und in den schneebedeckten Bergen der bayrischen Alpen erzählt. Später unterhielt er sie mit Anekdoten von Kampfeinsätzen bei der PE. Als sie dann in New York ankamen, war es nur natürlich erschienen, dass sie sich unterhakten, während sie auf Rollbändern an den eleganten Geschäften vorbeiflanierten, die die Avenue-of-the-Americas säumten. Sie schlugen die Zeit mit einem Schaufensterbummel tot und später mit einem gemütlichen Frühstück in einem schwimmenden Restaurant auf dem East River.
Ihr Führer durchquerte ein Areal zwischen dem Anbau des PE-Direktorats und dem eigentlichen UN-Gebäude. Dabei kamen sie auch am »Friedensbrunnen« vorbei, wo ein Ensemble von Nymphen in der sprühenden Gischt herumtollte. Ihre bronzegrünen Körper waren zum East River hin wesentlich heller als stadteinwärts. Ihr Führer bemerkte, dass Brea die Plastik musterte.
»Die Verfärbung rührt vom ›Streifschuss‹ aus dem Jahr vierundneunzig her. Das ganze Gebäude ist dadurch in Mitleidenschaft gezogen worden. Hätte eigentlich mit dem restlichen Manhattan abgerissen und neu aufgebaut werden sollen. Aber Sie wissen ja, wie die Politiker sind. Sie reden immer von der Symbolik des Dings und dass es eine ständige Mahnung dafür sei, den Frieden bewahren zu müssen. Macht die Klimatisierung des gesamten UN-Komplexes aber verdammt schwierig. Das alte Gebäude muss so viele undichte Stellen haben wie ein Schweizer Käse Löcher.«
Obergefreiter Carson führte sie durch stark gepanzerte Doppeltüren, die noch immer die Narben der Unruhen von 2026 trugen, vorbei an Arbeitern, die mit Vibrosägen den Marmorfußboden abtrugen, bis zu einem Aufzug. Nachdem der Lift sie ins elfte Stockwerk befördert hatte, geleitete er sie durch hallende Säle zu einer Tür mit der Aufschrift VERBINDUNGS-OFFIZIER – EXEKUTIVAUSSCHUSS DES TREUHANDRATS. Er ging durch diese Tür, marschierte zu einer jungen indoamerikanischen Empfangsdame und meldete: »Besucher für Oberst Ames«, wobei er ihr zugleich Stassels Marschbefehl überreichte.
»Bitte nehmen Sie Platz.« Die Sekretärin nahm die Dokumente an sich, klopfte an die Tür des inneren Büros und verschwand darin. Zwei Minuten später war sie zurück. »Der Oberst wird Sie nun empfangen.«
Oberst Ames war ein kleiner Mann mit schütterem Haar und wirkte irgendwie größer, als er in Wirklichkeit war. Er kam hinterm Schreibtisch hervor und bedeutete ihnen, ihm zum Besprechungsbereich zu folgen, wo mehrere elektrisch verstellbare Armstühle um einen runden Konferenztisch angeordnet waren.
»Major Stassel, Mrs. Gallagher. Ich bin froh, dass es Ihnen gelungen ist, so kurzfristig hier zu erscheinen. Ich bin Oberst Ames.« Erst nachdem er ihm die Hand geschüttelt hatte, bemerkte Stassel, dass Ames der linke Arm unterhalb des Ellbogens fehlte. »Hier, bitte setzen Sie sich. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Schwerefeld besonders ermüdend für Sie ist, Mrs. Gallagher.«
»Ein wenig«, erwiderte Brea. »Es ist kaum zu glauben, dass ich in Treibsand stapfend aufgewachsen bin. Und der Planet ist auch nicht größer geworden, seit ich ihn verlassen habe, oder?«
Ames lachte. »Ich weiß, was Sie meinen. Habe selbst ein gutes Jahr gebraucht, um mich wieder daran zu gewöhnen, als man mich an diesen Schreibtisch kettete. Lieber wäre ich jeden Tag im Orbit. Wie war der Flug?«
»Gut, Sir«, sagte Stassel.
»Dann schlafen Sie sich heute Nacht mal richtig aus. Das beste Gegenmittel für hohe Gravitation. Soll ich einem von Ihnen vielleicht eine Erfrischung bringen lassen?«
»Nein danke, Sir. Wir haben gerade gegessen.«
»In Ordnung, dann kommen wir zum eigentlichen Thema. Sind Sie bereit?«
Brea nickte. Stassel erwiderte: »Jawohl, Sir.«
»Gut. Aber alles der Reihe nach.« Ames beugte sich über den Konferenztisch und drückte die Interkom-Taste, die in die Mahagonitischplatte eingelassen war. »Smithers!«
»Herr Oberst?«, ertönte eine Stimme im Lautsprecher.
»Haben Sie diesen Raum heute Morgen auf Abhörgeräte überprüft?«
»Jawohl, Sir. Ihr Büro
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