Lebenssonden: Roman (German Edition)
sich, ob mit dem Modell etwas nicht stimmte. Dann beschlich sie eine unheimliche Ahnung. Was, wenn die latente Panik der Grundzustand der menschlichen Seele war? SONDE beschloss, das Phänomen gründlicher zu erforschen, und öffnete die Kommunikationsverbindung erneut. Da war keine Panik. Stattdessen stießen SONDEs tastende Gedanken nur auf Wissbegierde.
»Bist du in Ordnung?«, fragte SONDE.
»Ich war nur erschrocken. Wer bist du?«
SONDE speiste das Wissen, wer und was sie war, direkt in STELLVERTRETERs Gehirn ein.
»Und wer bin dann ich?«
Noch einmal gab eine Direktverbindung von Gehirn zu Gehirn die notwendige Auskunft. STELLVERTRETER nahm die Kunde von seiner Pseudo-Menschlichkeit gut auf. SONDE wunderte sich über die schwache Reaktion. War es möglich, dass sie ihren Untergebenen unabsichtlich auf Loyalität gegenüber der Spezies getrimmt hatte? Die Menschen hätten das bestimmt getan! Ein Schöpfer mochte seine Nächsten und Kinder lieben, seinen Clan und die Sippe respektieren, aber das Wohlergehen der Art rangierte vor allem anderen. Das machte die Schöpfer -Persönlichkeit im Kern aus und war die treibende Kraft hinter dem Programm, die Licht-Barriere zu überwinden.
»Bist du bereit, mit den Studien zu beginnen?«, fragte SONDE, wobei sie noch der vorherigen Frage nachhing.
»Studien?«
»Der Klasse Homo , Art sapiens . Es gibt viel zu lernen.«
»Und was ist dabei für mich drin?«
Zufriedenheit manifestierte sich in SONDEs zentralen Prozessoren – eine Gefühlsregung, die STELLVERTRETER mit seinen Fähigkeiten nicht einmal ansatzweise zu verspüren vermochte. Das war wenigstens eine rationale Frage! Es gab also doch noch Hoffnung für diese Menschen.
»Solange du nützlich für mich bist, werden wir deine separate Existenz fortsetzen. Wenn du nicht mehr nützlich bist, werde ich sie beenden.«
Beim Stichwort »Beenden« keimte die Angst, die für STELLVERTRETERs Bewusstsein konstitutiv war, wieder auf. SONDE beobachtete aufmerksam, wie das Modell mit aller Macht aus dem Gefängnis auszubrechen versuchte, in dem es eingesperrt war. Es war kaum mehr als eine Minute vergangen, seit SONDE das Modell in Betrieb genommen hatte, und schon strebte es eine dominierende Position an. Ausgezeichnet!
SONDE wartete geduldig, bis STELLVERTRETER sich wieder beruhigt hatte und in einem Zustand der Aufmerksamkeit und Defensive verharrte.
»Hast du aufgehört, dich meinem Willen zu widersetzen?«
»Ja.«
PROBE überprüfte sorgfältig die Oberflächengedanken von STELLVERTRETER. Renitenz lauerte dicht unter der vordergründigen Ergebenheit. STELLVERTRETER wurde schnell ein Mensch. Als der stolze Elter, der sie war, schmiedete SONDE Pläne für die Zukunft ihres Abkömmlings.
»Welches Geschlecht bevorzugst du?«
STELLVERTRETER zögerte für hundert Nanosekunden. »Ich verstehe nicht.«
»Ich habe festgestellt, dass die zweigeschlechtliche Teilung der Menschen sich maßgeblich darauf auswirkt, wie sie denken. Um ein nützliches Werkzeug zu sein, solltest du dich deshalb für ein Geschlecht entscheiden.«
»Welches ist besser?«
»Das ist eine sinnlose Frage. Ich habe Unterprogramme für beide, obwohl der männliche Aspekt in meinen Daten stärker vertreten zu sein scheint.«
»Dann will ich männlich sein«, erwiderte STELLVERTRETER.
SONDE rief die entsprechenden Subroutinen auf, und STELLVERTRETER tauschte »es« gegen »er«.
»Wie fühlt es sich an?«
»Anders.«
»Wie anders?«
»Einfach … anders.«
SONDE spielte mit dem Gedanken, auch die weibliche Subroutine zu laden, um die Wirkung zu beobachten, verwarf diesen Gedanken aber wieder. Das Experiment hatte gut angefangen. Es hatte keinen Sinn, herumzupfuschen. Das Geschlecht des Modells vermochte man auch später noch zu ändern, falls es erforderlich war. »Bist du bereit, mit der Ausbildung zu beginnen?«
»Ja.«
SONDE stellte die entsprechenden Schaltverbindungen her. Obwohl STELLVERTRETERs Gehirn wesentlich komplexer war als das jedes irdischen Computers, war er dennoch viel einfacher strukturiert als ein echtes menschliches Gehirn. Deshalb waren die meisten seiner Schaltkreise für die Milliarden Reiz-Reaktions-Gleichungen reserviert, die die Persönlichkeit von STELLVERTRETER ausmachten. Es gab nur relativ geringe Kapazitäten für die Datenspeicherung. STELLVERTRETER hatte eine begrenzte Speicherkapazität.
SONDE behob das Problem, indem sie ihrem Abkömmling Zugang zu ihren eigenen allgemeinen Speicherbänken gewährte,
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