Leberkäsweckle
Spottes.
»He, Alter, grass voll danebn die Ansprache, oder?«
»Opa, gib dir die Kurve!«
»Wasn aufhören, Mann? Alter, das geht ab!«
»Bist Bulle, bist schrulle!«
Allgemeines Gelächter. Gut, sein Lehrgang, wohlgemerkt der einzige Lehrgang, an dem er jemals teilgenommen hatte, weil er obligatorisch gewesen war, lag schon ein paar Jährchen zurück. Damals war er noch ein ehrgeiziger junger Polizist gewesen und hatte daran geglaubt, mit seiner Tätigkeit die Welt zu verbessern. Wenn er sich hier so umschaute, dann hatte er jedoch nicht viel erreicht. Er musste sich was einfallen lassen.
Die jungen Menschen hatten sich inzwischen wieder ihren Eimern zugewandt, die sie kontinuierlich neu auffüllten. Was sie da tranken und vor allem, wie sie das Zeug runterkriegten, war Schirmer schleierhaft. Aber auch egal.
Wie immer, wenn er nicht weiterwusste, vergrub er seine Hände in den Manteltaschen und dachte nach. Mit der linken Hand spürte er ein Fläschchen in der Tasche. Ach ja, das waren seine Tropfen. Er hatte eine schlecht funktionierende Verdauung, was auch an den zahlreichen und vor allem regelmäßigen Leberkäswecken liegen konnte. Auf jeden Fall hatte ihm sein Arzt was ganz Starkes verschrieben, mit dem deutlichen Hinweis, bitte wirklich vorsichtig und sehr dosiert damit umzugehen. Und tatsächlich, seit er die Tropfen nahm, war seine Verdauung einwandfrei. Seine Hand spielte mit dem Fläschchen, und sein Kopf spielte mit einem Gedanken. Wie es so ist, wenn zwei so spielen, dann kommt unter Umständen eine Idee heraus.
Eine Idee, die hatte auch Luise Bremer im Bett mit dem Kopf am Kissen. Sie hatte nachgedacht und festgestellt, dass sie in der Vergangenheit mit ihrem Hans viel zu tolerant umgegangen war. Sie hatten sich immer weniger gesehen und immer weniger zu sagen gehabt. Und sie hatte schon vermutet, was sich schließlich mit der Hose bestätigt hatte. Dass er allerdings in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft eine Liebschaft unterhielt, das schlug dann dem Fass doch den Boden aus. Der sollte sie kennenlernen.
Gleich morgen früh wollte sie ihn zur Rede stellen. Und sie würde wie die Lisa einen Paartermin vereinbaren, und dieser Termin war dann wöchentlich einzuhalten. Sie hatte von Lisa eine Adresse und wusste, diese Frau Dr. Zangl kannte kein Erbarmen, wenn es um Männer ging. Sie hatte Geschichten von Männern gehört, die nach einer Behandlung durch Frau Dr. Zangl zu richtigen Schürzenträgern geworden waren. Bei Dr. Zangl, da würde der Hans was zu beißen haben. Außerdem würde sie auf einem gemeinsamen Mittagessen bestehen und ihn begleiten, wohin er auch gehen mochte; na ja, nicht ganz vielleicht, dachte sie und musste im Halbschlaf lächeln. Sie würde ihn sich schon erziehen, ihren Hans. Mit dieser Gewissheit schlief sie ein und träumte von einer drachengleichen Dr. Zangl, die mit einem furchtbaren Gebiss ihren kleinen Hans das Fürchten lehrte.
Er fürchtete sich eigentlich ja nicht. Er hatte nur keinen Sinn mehr gesehen, so ohne sie. Aber jetzt, so wie er da saß, rotweingestärkt, fragte sich Franz Werth, ob das richtig gedacht war. So klein war das Leben, sein Leben doch nicht. Es gab seine beiden Kinder und drei zwar manchmal lästige, aber eigentlich doch nette Enkel. Wie hatte seine Frau immer gesagt: »Ich freu mich, wenn ihr kommt, und ich freu mich, wenn ihr geht.« So konnte man sich zweimal freuen.
Hatten sie ein zu enges Leben geführt?, fragte er sich. Zu wenige Menschen um sie herum, zu wenig Freunde und Gespräche? Sie hatte sich zurückgezogen, als die Krankheit begann. Er hatte nicht den Mut gehabt, dagegen anzugehen. So war alles um sie herum immer weniger geworden. Auch die Kinder waren nicht mehr so gerne gekommen.
Neugier und Interesse, das war es, was er wieder in sich entdecken und auch leben wollte. Das war es, was er hintangestellt hatte, seine Neugier auf das Leben und vor allem auch auf das Leben der anderen. Dann sein Interesse für allerlei Technisches wie Autos oder Modellflugzeuge. Ein wenig, das musste er sich im Rückblick eingestehen, ein wenig hatte sie ihm das genommen.
Mit Rückblick hatten auch die Gedanken von Hauptkommissar Knöpfle zu tun. Wie sollten sie einigermaßen gut aus dem Fall Luise Bremer rauskommen?, fragte er sich rückblickend. Aber heute war da nichts mehr zu machen. Dieser Tag war gelaufen, und es scherte ihn wenig, was Schirmer noch tat oder nicht und was schließlich mit Frau Bremer geschehen würde. Morgen
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