Lebt wohl, Genossen!
sofort.» Damit löste er, gewollt oder ungewollt, den fröhlichsten Karneval der deutschen Nachkriegsgeschichte aus.
E NDE DES K ALTEN K RIEGES
Im Nachhinein verbindet man den ersten Schritt zu einer möglichen deutschen Wiedervereinigung mit dem Treffen Gorbatschow – Bush Anfang Dezember auf dem sowjetischen Kreuzfahrtschiff ‹Maxim Gorki›. In der Tat, so erklärte der sowjetische Staatspräsident nach diesen Verhandlungen an der Küste von Malta, einigten sich beide Seiten hier über das Ende des Kalten Krieges. In Wirklichkeit bedeutete die deutsch-deutsche Grenzöffnung in Berlin und anderswo, die im Übrigen die «führende Rolle» der SED um nur knapp einen Monat verlängerte, dass zumindest in Europa der Zankapfel dieser jahrzehntelangen Konfrontation verschwand. Eine andere Folge war die Tatsache, dass ab dem 9. November 1989 zwischen den Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrags und dem westlichen Teil des Kontinents ein ungefähr 2600 Kilometer langer frei passierbarer Grenzabschnitt entstand. Dieser hätte selbst ohne jede Deklaration wenn nicht das Ende, so doch die Sinnlosigkeit des Kalten Krieges deutlich zum Ausdruck gebracht. Ob die DDR mit ihrem geschwächten Staat und ihrer chaotischen Wirtschaftssituation die eigene Staatlichkeit aufrechterhalten konnte, blieb dahingestellt. Jedenfalls mussten Kartographen in jenen Tagen über einen neuen Berliner Stadtplan nachdenken und angesichts der bewegten Zeiten auch mit anderen, neuen Aufträgen rechnen.
Zunächst aber waren die Energien der friedlichen Revolution bei Weitem nicht erschöpft. Es folgten politische Kämpfe, und man zwang den Funktionärsstaat zur Aufgabe seines Machtmonopols. Die offene Grenze blieb keine Einbahnstraße, auch aus westlicher Richtung kamen die einst Ausgebürgerten oder auch in den Monaten zuvor Ausgereisten zurück. Anfang Dezember gab der Liedermacher Wolf Biermann in Leipzig sein erstes DDR-Konzert seit 1976, und auch der Schriftsteller Jürgen Fuchs konnte nun ungehindert in das Land reisen, aus dem er 1977 nach neun Monaten Haft als Gewissensgefangener ausgewiesen worden war.
Aufgrund vor allem ökonomischer Schwierigkeiten ließ die ursprüngliche Euphorie der Bevölkerung bald nach. Mitte Dezember, anlässlich eines Besuchs von Bundeskanzler Kohl in Dresden, wurde der Slogan «Wir sind das Volk» in «Wir sind EIN Volk» umgewandelt. Ein letztes Aufflackerndes DDR-Protestes war die Besetzung der Stasi-Zentrale in Lichtenberg. Damit hatte die Bürgerbewegung etwas erreicht, was sonst in keinem Ostblockland gelungen war: die Zerschlagung der Staatssicherheit.
Die «Maxim Gorki». Gipfeltreffen auf dem Schiff. Ende des Kalten Krieges
D ER VIERTE D OMINOSTEIN – B ULGARIEN
Der bulgarische Führer Todor Schiwkow war unter allen Ehrengästen der Feierlichkeiten des 40. Geburtstags der DDR derjenige, der die längste Zeit an der Spitze seiner KP (seit April 1954) und seines Staates (1958) gestanden hatte. Über die intellektuellen Fähigkeiten und die Mentalität Schiwkows gingen die Meinungen der Zeitgenossen auseinander. Während er für den Mitstreiter János Kádár ein politischer Banause und Sturkopf ohne Einfühlungsvermögen war, fand der Verhandlungspartner Franz Josef Strauß geradezu hymnische Worte für ihn: «Dieser alte Revolutionär,der einen langen Lebensweg und ebenso viele Wandlungen – zur Zeit vielleicht seine letzte – hinter sich hat, hat Verständnis für offene Worte und Sinn für Humor – auch dort, wo dies für einen kommunistischen Spitzenfunktionär nicht unbedingt angenehm ist. Schiwkow gehört zu jenen Politikern im Ostblock, die wissen, dass es ohne grundlegende Veränderungen nicht weitergehen kann. Er will den langen Weg der Reformen gehen.» Dieses erstaunlich schmeichelhafte Zeugnis stellte Strauß dem bulgarischen Staatschef während seiner Bulgarienreise im Frühjahr 1988 aus. Schiwkow soll während einer Wildschweinjagd den wirtschaftlichen Kollaps seines Landes Strauß gegenüber zugegeben und die scheinbar naive Frage gestellt haben: «Was müssen wir tun, um Mitglied der Europäischen Gemeinschaft zu werden?» Offensichtlich schätzte der Bajuware den Jagdfreund nicht so sehr wegen dessen Ehrlichkeit, sondern eher wegen seiner Bauernschläue. Anscheinend glaubte auch Schiwkow an diese Eigenschaft, als er im letzten Jahr seiner Herrschaft mit seiner Reisepolitik einen Zusammenbruch provozierte, der dem in der DDR nicht unähnlich schien.
T ODOR S CHIWKOWS LETZTE S
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