Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebt wohl, Genossen!

Lebt wohl, Genossen!

Titel: Lebt wohl, Genossen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: György Dalos
Vom Netzwerk:
Sowjetunion gemeinhin an Lebensmitteln entbehrte.
    Tagesration Bundeswehr. Trockenration für acht Millionen Menschen
    Auch früher schon hatte die Moskauer Führung versucht, kleinere oder größere Kredite locker zu machen. Kuwait quittierte nach dem Golfkrieg die sowjetische Stellungnahme gegen Saddam Hussein mit einer Anleihe von 500 Millionen Dollar. Südkorea bedankte sich für das als Zwischenstopp deklarierte Treffen zwischen seinem Präsidenten Roh Tae Woo und Gorbatschow, das, um Nordkorea nicht zu brüskieren, auf einer südkoreanischen Insel stattfand, mit einem Drei-Milliarden-Kredit. Auch Bundeskanzler Kohl war bereit, die Kosten des Auszugs der Sowjetarmee aus der ehemaligen DDR nicht nur mit den avisierten 15 Milliarden Dollar zu unterstützen, sondern kräftig nach oben aufzurunden. Das alles aber war nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
D ER S TAAT ALS B ANKRÄUBER
    Man hätte noch auf die Goldreserven zurückgreifen können, die 1991 jedoch bereits von 720 Tonnen im Jahre 1985 auf 290 Tonnen gesunken waren. Valutaaußenstände hatte der Sowjetstaat nur noch in Staaten, denen er in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als großzügig Kredite gewährt hatte: Vietnam, Kuba, Nordkorea, die Mongolei, Irak, Algerien, Angola, Libyen, Nicaragua – allesamt Entwicklungsländer, von denen eine Rückzahlung der schätzungsweise 70 Milliarden Goldrubel nicht zu erwarten war.
    Der Devisenmangel begann 1991 das normale Funktionieren des Staates zu gefährden. So weigerte sich die Fluggesellschaft Aeroflot im April, den Mitarbeitern des Ministeriums für Außenhandel Flugtickets für Reisen in westliche Länder zu verkaufen. Für die Handelsvertretungen im Ausland fehlte es an Geld für Telefon, Strom und Heizung. Schließlich stand die Regierung vor der peinlichen Situation, weder den Aufenthalt von Tausenden im Ausland beschäftigten sowjetischen Spezialisten noch deren Rückreise finanzieren zu können. In ihrer Verzweiflung, so wissen wir von dem Ökonomen Jegor Gajdar, war sie sogar zu einer Art Bankraub bereit: Sie entnahm dem Safe der Außenhandelsbank zur Deckung ihrer laufenden Kosten sechs Milliarden Dollar, ohne die Besitzer der Einlagen, juristische und natürliche Personen, vorher um Erlaubnis zu fragen.Einer der geschädigten Klienten war der Präsident selbst, der die Honorare für seine im Westen veröffentlichten Reden, Beiträge und Interviews dem sowjetischen Geldinstitut anvertraut hatte – ein Zeichen von staatsbürgerlichem Anstand, aber auch unerschütterlichem Optimismus.
    Schleichende und galoppierende Inflation, Rubel- und Karbowanetzscheine
    Mehr Sorgen als die Verschuldung bereitete den westlichen Partnern, den Regierungen und Banken, die gefährdete Lage ihres Schuldners. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Land, dem sie Kredite überlassen sollten, in dieser Form vielleicht zur Zeit der fälligen Rückzahlung nicht mehr existieren würde, ließ die Geldinstitute der reichen Länder besonders vorsichtig agieren. Eine Zeit lang noch galt Gorbatschow als eine Art politisches Pfand, das aber mit Jelzins wachsendem Einfluss in der Politik immer fragwürdiger wurde – für eine relative Stabilität konnten beide Staaten, die UdSSR und Russland, nur gemeinsam bürgen.
    Selbst das sowjetische Geld, der Rubel, trug noch 1991 den obligatenLenin-Kopf und die Wertangabe in Sprachen der 15 Republiken: Odin Rubl, Odin Karbowanetz, Bir Sum, Bir Manat, Vienas Rublis, Üks Rubla usw. Aber wer konnte mit Sicherheit sagen, ob im nächsten Jahr diese Währungsunion noch existierte? Als Erste der Republiken begann bereits 1991 die Ukraine von der sowjetischen Währung Abschied zu nehmen und ließ stattdessen das Ersatzgeld «Karbowanez» drucken, was den Anfang einer nicht enden wollenden Inflationsspirale nach sich zog.
W ARTESCHLANGEN, T ROSTSUCHE, W UNDERERWARTUNGEN
    Die Normalbürger bemerkten die Entwertung ihres Geldes zunächst an dem Verschwinden der Kopeken. Statt der Fünfermünze mussten sie für die Metroautomaten Chips verwenden. Darauf folgte die schleichende Preiserhöhung, die der Staat mit regelmäßigen Lohnsteigerungen zu kompensieren suchte.
    Vor allem die Metropolen Moskau und Leningrad füllten sich allmählich mit Flüchtlingen aus den Kriegs- und Elendsgebieten der Union. Die massenhafte Verarmung konnte nicht mehr im Verborgenen bleiben. Auf den Straßen der Großstädte tauchten mehr und mehr Obdachlose auf, die im Amtssowjetisch als «Personen mit unbestimmtem Wohnsitz»

Weitere Kostenlose Bücher