Lee, Julianne
Angst vor schlechten Nachrichten lebte, wusste sie doch, dass es noch schlimmer wäre, gar nichts von ihm zu hören. Alles ließ sich ertragen, nur diese quälende Ungewissheit nicht.
So verspürte sie nacktes Entsetzen und Hoffnung zugleich, als sie ganz in der Nähe Kampflärm und Schüsse vernahm. Sie hastete zum Fenster, zog den Vorhang zur Seite und schaute hinaus. Inmitten dichter weißer Pulverdampfschwaden erkannte sie einige Männer, die über den Marktplatz liefen. Männer in Kilts. Sie ließ den Blick von einem zum anderen wandern, hielt nach langem, schwarzem, im Nacken zusammengebundenem Haar Ausschau
und hoffte entgegen aller Vernunft, Ciaran möge unter ihnen sein.
Doch kurz darauf tauchten englische Soldaten auf, die die durch die Straßen flüchtenden Jakobiten erbittert verfolgten. Ba-
jonette blitzten. Einer der Highlander blieb ein Stück zurück und wurde von einem Rotrock mit dem Bajonett durchbohrt. Leah hielt den Atem an, als der Mann schreiend auf der Straße zusammenbrach und sich im Schlamm wälzte, während die Soldaten die Verfolgung seiner Kameraden aufnahmen.
Sie wandte sich vom Fenster ab und griff nach ihrem Umhang, der an einem Haken neben der Tür hing.
»Du wirst keinen Fuß vor das Haus setzen!« Edwin erschien an der Tür zum Nachbarraum. »Der Mann braucht Hilfe!«
»Aber nicht von dir. Oder willst du verhaftet werden, weil du einem Feind geholfen hast?« »Es kümmert sich ja sonst keiner um ihn ...« Edwins Stimme klang schrill vor Panik. »Hast du den Verstand verloren? Überall wimmelt es von Soldaten des Königs! Sie würden dich auf der Stelle festnehmen, wenn du einen verletzten Jakobiten versorgst!«
»Er stirbt! Er leidet Schmerzen, und ich kann nicht einfach hier bleiben und tatenlos zusehen, wie er sich quält.«
»Dir bleibt gar nichts anderes übrig. Und jetzt setz dich wieder!« Edwin deutete auf einen Stuhl. »Da hin!«
Leah starrte zu Boden und wünschte, sie brächte den Mut auf, einfach ihren Umhang zu nehmen und dem armen Mann zu Hilfe zu eilen. Aber sie wagte nicht, sich Edwin zu widersetzen, und so hielt sie sich die Ohren zu, um die Schreie des sterbenden Jakobiten nicht hören zu müssen, der auf Englisch und Gälisch um Hilfe flehte, die nicht kam. Sie begann leise zu schluchzen, während die Schreie immer schwächer wurden und schließlich verstummten. Am ganzen Leibe zitternd dankte sie Gott dafür, dass es nicht Ciaran gewesen war, der wie ein Tier im Schmutz hatte verrecken müssen.
Kurz darauf kehrte Martha vom Einkaufen zurück und machte es sich mit einem Buch im Wohnzimmer bequem. Leah nahm keine Notiz von ihr, sondern kauerte sich in ihrem Stuhl beim Feuer
zusammen und kämpfte gegen die Tränen an. Martha musterte sie forschend, schien fragen zu wollen, ob alles in Ordnung war, besann sich dann aber und blickte aus dem Fenster. Ein paar Männer schafften gerade den Leichnam des Jakobiten fort. Schweigend konzentrierte sie sich wieder auf ihr Buch.
Doch kurz darauf hob sie den Kopf. »Hör doch«, sagte sie.
Leah schrak zusammen. »Was ist denn?«
»Hör einmal.«
Leah drehte den Kopf zum Fenster und lauschte angestrengt. Ja, jetzt hörte auch sie es ganz deutlich. Trommeln. Im Marschrhythmus. Mit klopfendem Herzen raffte sie ihre Röcke und eilte zum Fenster. »Lieber Gott, gib, dass er es ist.«
Martha steckte die Nase wieder in ihr Buch. Dabei bemerkte sie nicht ohne eine gewisse Schärfe in der Stimme: »Gut möglich. Die Männer deines Vaters sind unter den Befehl des Herzogs von Cumberland gestellt worden. Die Armee befindet sich auf dem Marsch nach Inverness. Ich denke schon, dass dein Vater dabei ist.«
Leah presste die Lippen zusammen. Martha wusste ganz genau, dass sie nicht von ihrem Vater gesprochen hatte. Die Bemerkung war als Mahnung gedacht gewesen. Ihr Herz wurde noch schwerer, als die Soldaten in Sicht kamen und sie sah, dass es sich tatsächlich um Rotröcke handelte. Sie hatte so sehr gehofft, es würden Jakobiten sein, und jetzt spürte sie nur abgrundtiefe Enttäuschung, obwohl sich ihr Vater höchstwahrscheinlich unter diesen Soldaten befand. Eigentlich sollte sie sich freuen, sie zu sehen, aber das tat sie nicht. Schuldbewusst senkte sie den Kopf.
»Sie sind hergekommen, um uns zu schützen.« Marthas Stimme Wang noch immer vorwurfsvoll.
Leah blickte zur Treppe, um sicherzugehen, dass Edwin nicht lauschte, dann flüsterte sie: »Sie sind hier, um jemanden zu töten, den ich liebe.«
Martha blickte auf.
Weitere Kostenlose Bücher