Lee, Julianne
Vater hat mit dir wohl nie über deinen Großvater gesprochen, nicht wahr? Ich meine nicht Iain Mór, sondern seinen eigenen Vater. Sein Name war Kenneth.« Ciaran schüttelte den Kopf, und Sinann fuhr fort: »Wusstest du, dass dein Vater seinen Vater hasste?«
»Ein Mann kann seinen Vater nicht hassen«, flüsterte Ciaran so inbrünstig, dass es fast wie ein Gebet klang.
»Dein Großvater war ein Trinker, Ciaran. Er war jeden Tag so betrunken, dass er keine Vaterpflichten mehr wahrnehmen konnte. Er quälte alle, die ihn liebten, bis sie ihn schließlich hassten. Er trank, um sich zu betäuben, weil er das Leben unerträglich fand. Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren. Denk einmal darüber nach.«
Die Männer tranken noch immer auf James' Wohl. Wieder und wieder wurden die Flaschen gehoben. Ciaran blickte seine eigene Flasche an und spürte wieder die Wärme, die der Wein in ihm auslöste. »Es ist zumindest ein Trost«, wisperte er.
»Ein gefährlicher Trost, mein Freund. Damit könntest du dich für den Rest deiner Tage so betäuben, dass du von deinem Leben nichts mehr mitbekommst. Und dann wärst du genauso wie der Mann, den dein Vater hasste wie keinen anderen auf der Welt.«
Das gab Ciaran zu denken. Er starrte die Flasche an. Noch immer wünschte er sich, sich einfach in den Schlaf trinken zu können, stellte aber fest, dass er keinen Schluck mehr herunterbrachte. »Hier, nimm.« Er reichte Eóin die Flasche, griff dann nach einem großen Stück Trockenfleisch und knabberte daran.
Später rollte er sich satt und schläfrig mit seinem Dolch in der Hand auf der Pritsche zusammen und fiel in einen tiefen, träumlosen Schlaf.
Am folgenden Morgen erwachten die Männer des Prinzen ausgeruht und von neuem Kampfgeist erfüllt. Als der Befehl kam, für den Marsch nach Inverness bereit zu machen, lief ein eisi-
ger Schauer über Ciarans Rücken. Drummossie Moor, das sein Vater auch Culloden Moor genannt hatte, lag zwischen Inverness und Nairn.
15. KAPITEL
Er steckte eine schlichte runde Brosche an, um das Plaid an der Schulterpartie seiner Jacke zu befestigen.
Das Haus in Nairn war klein und schäbig, obgleich es noch zu den größten Gebäuden der Stadt zählte. Es lag am Marktplatz, direkt neben der einzigen Schenke des Ortes. Hier verbrachte Leah mit Edwin und Martha den Winter, weit weg von den Kämpfen in den größeren Städten und den Belagerungen der Jakobiten. Als sie die Nachricht erreichte, dass die Armee des Königs Edinburgh wiedererobert hatte, wollte Leah dorthin zurückkehren; zurück in das geräumige, komfortable Haus, wo die Matratzen der Betten mit Federn statt mit Stroh gefüllt waren und wo der Wind nicht durch Ritzen in der Tür und den Fensterrahmen pfiff. Aber Edwin weigerte sich. Die Bombardierung Edinburghs hatte ihm eine Todesangst eingejagt, und daher würden sie in Nairn bleiben, bis der ganze Aufstand vorüber war, egal wie eng, unbequem und schmuddelig das Haus war.
Der Frühling nahte heran, wovon man allerdings hier oben im Norden wenig bemerkte. Nur der Boden, der noch vor einigen Tagen steinhart gefroren gewesen war, verströmte jetzt einen leichten Geruch nach feuchter Erde.
Während der ersten Wochen ihres Aufenthaltes in Nairn hatte Martha Leah nicht aus den Augen gelassen. In dem winzigen
Häuschen gab es kaum Privatsphäre, doch sowie sich herausstellte, dass Leah keinen neuen Matheson unter dem Herzen trug, lockerte Martha ihre Überwachung. Sie war zutiefst erleichtert über den glimpflichen Ausgang von Leahs Abenteuer. Leah selbst jedoch wurde ihrer Enttäuschung kaum Herr. Sie verbrachte ganze Tage im Bett und sehnte sich verzweifelt nach Ciaran, doch ihre Hoffnung, ihn wieder zu sehen, schwand allmählich. Wieder und wieder ließ sie seinen Rosenkranz zwischen den Fingern hindurchgleiten und betete, er möge in Sicherheit sein.
Edwin erhielt oft neue Nachrichten über die auf dem Rückzug aus Derby befindlichen Jakobiten, die er genüsslich an Martha und Leah weitergab. Voll hämischer Freude berichtete er von Gefechten und Hinrichtungen. Mit jedem Tag wuchs Leahs Furcht, Ciaran könne nicht mehr am Leben sein. Und selbst wenn er noch lebte - wurde der Aufstand endgültig niedergeschlagen, bedeutete das für ihn den Galgen oder die Verbannung. Um sein Leben zu retten würde er das Land verlassen müssen. Sie könnte ihn nie wieder sehen, und jetzt wusste sie auch, dass ihr noch nicht einmal sein Kind bleiben würde.
Obwohl sie in ständiger
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