Lee, Julianne
»Und dein Vater bedeutet dir auf einmal gar nichts mehr?«
Leah wandte sich vom Fenster ab. »Doch, natürlich. Ich möchte nicht, dass er stirbt. Aber ich denke immer, wenn beide Seiten von diesem Wahnsinn ablassen und einfach wieder nach Hause zurückkehren wurden, dann könnten wir alle in Frieden leben, und Ciaran...«, ihre Stimme brach, und sie musste sich räuspern,».,, und Ciaran bliebe am Leben. Alle blieben am Leben, und niemand müsste den anderen mehr hassen.«
Martha runzelte die Stirn und schüttelte besorgt den Kopf. »Du lebst in einer Traumwelt, Leah. Krieg wird es immer geben, was sollten denn die Männer sonst mit sich anfangen? Sie sind doch sowieso an nichts interessiert außer daran, sich gegenseitig umzubringen.« Auch sie blickte zur Treppe. Sie fürchtete wohl, Edwin könne hinzukommen und sich lang und breit über dieses leidige Thema auslassen.
Leah zog den Vorhang wieder zur Seite und beobachtete die vorüberziehenden Männer. Die Infanterie marschierte strammen Schrittes unter dem Fenster vorbei. Ihre Uniformen waren neu, sauber und ordentlich, die Waffen auf Hochglanz poliert.
Danach kamen Dragoner; Reihe für Reihe berittener Soldaten in leuchtend roten Röcken. Ihr Vater ritt an der Spitze seiner Kompanie. Leahs Herz machte einen kleinen Satz. Sein Gesicht wirkte hart, seine Augen ausdruckslos. Sie hatte keine Ahnung, was in ihm vorging. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Zwar hatte sie schon miterlebt, wie er seinen Männern Befehle erteilte und Entscheidungen traf, aber der wichtigste Teil seines Berufes war ihr bislang verborgen geblieben. Sie hatte ihn nie in die Schlacht ziehen sehen. Ein Schauer lief über ihren Rücken.
Sie blickte ihm nach, bis er außer Sichtweite war. »Weißt du, wohin sie wollen?« Sie zog den Vorhang wieder zu und lehnte die Stirn gegen den hölzernen Fensterrahmen.
Ohne die Augen von ihrem Buch abzuwenden, erwiderte Martha geistesabwesend: »Nach Inverness, denke ich. Stuart hat dort sein Lager aufgeschlagen und macht seit Monaten die Gegend unsicher. Die Armee soll das Schlangennest ausräuchern.«
Leah zwinkerte, dann durchbohrte sie Martha mit einem bösen Blick. »Die Jakobiten sind in Inverness?« Martha blickte auf. »Das wusstest du doch sicher auch.« Der Ärger trieb Leah das Blut in die Wangen. »Ich wusste, dass Stirling und andere Städte belagert werden. Aber niemand hat mir gesagt, dass Stuart in Inverness ist. Warum habt ihr mir das
verschwiegen?«
Auch Marthas Gesicht lief rot an. »Aber Leah, wir haben dir doch nichts verschwiegen.« »O doch. Ihr hattet Angst, ich könnte mich auf die Suche nach Ciaran machen.«
Martha klappte das Buch zu, faltete die Hände im Schoß und sah Leah in die Augen. »Nichts läge mir ferner, als Geheimnisse vor dir zu haben. Aber allmählich frage ich mich, ob wir nicht besser daran getan hätten, jegliche Neuigkeit für uns zu behalten. Du kommst mir vor, als hinge dein ganzes Leben davon ab, dass du diesen Wilden wieder siehst. Dein Vater wäre entsetzt, wenn er das wüsste.« Sie schlug ihr Buch wieder auf. »Vermutlich ist dein Highlander ohnehin bereits tot.«
Eine große Ruhe überkam Leah, während sie Martha anstarrte. Auf einmal zählte nichts mehr auf der Welt außer ihrem Verlangen, Ciaran wieder zu sehen. Was Martha, Edwin oder sogar ihr Vater dazu sagen würden, kümmerte sie nicht mehr. Am liebsten hätte sie ihren Entschluss direkt in die Tat umgesetzt, wäre aus dem Raum gestürmt und hätte sich auf den Weg nach Inverness gemacht, aber sie sah ein, dass sie nicht weit kommen würde. Zwischen ihr und der Streitkraft des Prinzen standen ihr Vater und seine Dragoner.
Also holte sie tief Atem, setzte ein wehmütiges Lächeln auf und sagte leise: »Wahrscheinlich hast du Recht, Martha. Ich habe ihn geliebt, aber allmählich glaube ich selbst nicht mehr, dass er
noch am Leben ist«
Martha seufzte erleichtert auf und nickte. »Ja. So traurig es ist, aber die Jakobiten haben große Verluste erlitten. Es wäre ein
Wunder, wenn er überlebt hätte.« Sie lächelte Leah an, ehe sie aufmunternd fortfuhr: »Betrachte die Sache doch von der guten Seite. Dein Vater ist nach Nairn gekommen und wird dich sicher hier besuchen.«
Seltsamerweise hoben sich Leahs Lebensgeister beim Gedanken an einen Besuch ihres Vaters. »Glaubst du wirklich?«
»Ich bin ganz sicher. Er weiß, dass du hier bist, und morgen ist Cumberlands Geburtstag, da legt er sicher einen Tag Rast ein.«
Ein Lächeln
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