Lee, Julianne
immer langsamer, die Schmerzen immer stärker. Ein Sturm zog auf und brachte kalten Regen mit sich; der Wind zerrte an ihrem Rock und dem Umhang. Eine Stimme in ihrem Hinterkopf beschwor sie, diese gefährliche Suche nach einem Mann, der vermutlich gar nicht mehr am Leben war, aufzugeben und umzukehren, doch Leah ignorierte sie. Stattdessen rief sie sich Ciarans Bild ins Gedächtnis. Sicher wartete er am Ende der Straße auf sie. Mühsam schleppte sie sich weiter. Das Wetter besserte sich ein wenig, es nieselte nur noch leicht, und als sich endlich die Sonne zeigte, bemerkte Leah, dass es schon auf Mittag zuging. Immer häufiger kam sie jetzt an Packpferden vorbei, an denen sich zerlumpte Frauen zu schaffen machten. Sie fragte sich, ob sie bereits Cumberlands Lager erreicht hatte. Das Bild war ihr wohlvertraut. Seit Vaters Rückkehr vom Kontinent hatte sie schon so manchen Tross gesehen und wusste, welche Sorte von Frauen sich für gewöhnlich einer Armee anschloss. Sie setzte ihren Weg unbeirrt fort und ließ das bunt gemischte Völkchen bald hinter sich. Endlich passierte sie eine kleine Anhöhe. Der Anblick, der sich ihr dort bot, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Direkt vor ihr formierte sich die britische Armee für eine Schlacht. Ein Meer rotberockter Rücken erstreckte sich vor ihr. Irgendwo in der Ferne stimmten Dudelsäcke eine schwermütige Weise an. Männer brüllten einander Befehle zu. Nackter Hass und Mordlust schwangen ihren Stimmen mit. In ihrer Gier zu töten wirkten sie kaum
nochmenschlich.
Leahs Herz begann zu hämmern. Am liebsten hätte sie ihnen laut zugerufen, dem sinnlosen Blutvergießen endlich ein Ende zu machen, doch sie brachte keinen Ton heraus. Verzweifelt blickte sie sich um, dann wandte sie sich nach links. Dort standen unten an einem kleinen Fluss ein paar Bäume, die ihr Schutz bieten würden.
Sie war noch nicht weit gekommen, als ein ohrenbetäubender Knall ertönte. Rauchwolken stiegen in die Luft. Weitere Explosionen folgten, Kampfgeschrei hallte. Leah rannte geduckt weiter. Musketenkugeln prasselten im Gebüsch, was sie zu noch größerer Eile antrieb. Sie musste sich in Sicherheit bringen, ehe sie direkt in die Schusslinie geriet. Endlich erreichte sie die schützenden Baume und sank hinter einer mächtigen Eiche zu Boden.
Von Angst und Entsetzen geschüttelt lag sie da und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. Vater hatte immer voller Verachtung von Soldaten gesprochen, die sich ihre Furcht anmerken ließen, also musste sie sich zusammenreißen. Sie begann, ein Gebet für Ciaran zu murmeln, flehte Gott an, ihn nicht in dieser Schlacht umkommen zu lassen, dabei umklammerte sie den Rosenkranz in ihrer Rocktasche so fest, dass sich die Elfenbeinperlen schmerzhaft in ihre Handfläche bohrten.
Eine Kanonenkugel schlug zwischen den Bäumen ein, Holzsplitter schwirrten durch die Luft. Leah krümmte sich zusammen. Zu dem Musketenfeuer gesellte sich jetzt das metallische Klirren, mit dem Stahl auf Stahl traf. Männer brüllten, Pferde wieherten schrill. Das Grauen schien kein Ende nehmen zu wollen.
Leah verlor allmählich jegliches Zeitgefühl. Als der Kampflärm endlich abebbte, war sie so erschöpft, dass sie sich kaum noch rühren konnte. Nur noch gelegentlich krachten Schüsse in der Ferne, die jedoch von den gellenden Schreien verwundeter und sterbender Männer übertönt wurden. Das Schlimmste schien jedoch überstanden zu sein, also erhob sie sich vorsichtig, verließ ihr Versteck und wankte mit zittrigen Knien auf das Schlachtfeld zu.
Der Wind hatte den Rauch weggetrieben, nur hier und da stieg
noch ein Pulverdampfwölkchen in die Luft, wenn eine Muskete abgefeuert wurde. Leah lief auf eine Mauer am Rand des Schlachtfelds zu. Als sie näher kam, stieg ihr ein Ekel erregender, warmer Geruch nach frisch vergossenem Blut in die Nase, und sie musste würgen.
Auch andere Menschen rannten jetzt auf das Schlachtfeld; Frauen, die ihre Männer und Söhne suchten, aber auch Leichenfledderer, die die gefallenen Jakobiten und Hannoveraner gierig nach irgendwelchen Wertsachen abtasteten. Reiterlose Pferde liefen überall umher, einige waren verletzt und hinkten erbärmlich. Viele Tiere waren auch getötet worden. Der beißende Gestank nach Schießpulver, der über dem Schlachtfeld hing, brannte in Leahs Augen.
Die Tränen ließen sich nicht länger zurückhalten. Sie rollten ihr über die Wangen und tropften von ihrem Kinn, während sie den Blick über das sinnlose
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